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Montag, 25.11.2024

Die kommende Auferstehung

"... steigt aus den Trümmern der alten Gesellschaft die sozialistische Weltrepublik!", sang Ernst Busch 1931 zur Musik von Hanns Eisler. Ganz neu ist der Gedanke, dass im Zusammenbruch der alten Gesellschaft die neue entsteht, also nicht. Die AutorInnen des Buchs "Der kommende Aufstand" haben ihn nun für die Gegenwart neu formuliert. Und damit einige Fragen aufgeworfen. Muss man sich von allem losreißen, um etwas Neues zu beginnen? Wozu taugen Zusammenbruchsprognosen? Jan Ole Arps und Bernd Müller sprachen für ak mit H.P. Kartenberg, aktiv bei Libertad! und in der IL, und Stephan Geene vom Berliner Buchladen und Verlag b_books über Entfremdungskritik, Rebellion und die Frage, wo eigentlich die Zukunft beginnt.

ak: Bevor wir auf den Text selbst kommen, würden wir gern über die Faszination bzw. das Unbehagen sprechen, das er auslöst. Habt ihr eine Erklärung für die heftigen und völlig gegensätzlichen Reaktionen?

H.P. Kartenberg: Da müssen wir, denke ich, zwischen der Rezeption im bürgerlichen Feuilleton und der in der Linken unterscheiden. Im Vergleich zu 90 Prozent aller linksradikalen Texte, die mehr sein wollen als nur ein Flugblatt, finde ich den "Kommenden Aufstand" einen ausgesprochenen Wurf. Das hat sicher auch mit seiner Sprache zu tun. Es ist diese phänomenologische Methode und der fast feuilletonistische Ton, der das Lesen nicht unbedingt einfacher, in jedem Fall aber anregender macht, als all die gestanzten Begriffssätze des real angewandten Antikapitalismus der letzten Jahre.

Alleine die Beschreibung unserer Welten in Anlehnung an Dantes "Göttliche Komödie" ist schon ungewöhnlich, ebenso wie der Dreh, die verschiedenen Kreisthemen - bei Dante sind es die Bußbezirke der verlorenen Seelen - in Analogie zu den sieben Hauptsünden zu entwickeln. Hier wird nicht nur eine Wirklichkeit abgebildet, sondern der Text eröffnet dem Leser bzw. Aktivisten die Möglichkeit, sich selbst darin zu finden.

Das ist hypnotisch geschrieben und in weiten Teilen angenehm unideologisch. Dabei legt der Text am Ende leider nicht viel auf den Tisch. Umgekehrt ist vielleicht das Fehlen eines richtigen Weges auch Teil der Faszination: Hier spricht keine Avantgarde, die Bewusstsein bilden will. Hier wird verstört, weil alles offen bleibt. Man muss es also selbst erproben.

Darum geht es aber dem bürgerlichen Feuilleton nicht, oder?

H.P.K.: Das bürgerliche Feuilleton bekommt Angst, wenn die radikale Abkehr von allem propagiert wird. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise verursacht so ein Aufruf das Schauern vor dem möglichen Chaos. Doch der Text - und das spürt auch das Feuilleton - ist nicht wirklich gefährlich, weil seine Praxis anonym bleibt. Es gibt kein Gegenüber, kein politisch zu verortendes Subjekt, die Machtfrage wird weder gedacht noch gestellt. Das "Unsichtbare Komitee" spricht lediglich von der allgemeinen Sphäre der Unruhe und der Rebellion der Straße, die eine unbeherrschbare Situation herstellen würde. Der Text beschreibt die Möglichkeit eines Übersprungs, verweigert aber jeden Hinweis, wie das gehen kann.

Stephan Geene: Zu den positiven Effekten des "Kommenden Aufstands" wäre durchaus zu zählen, dass er Einteilungen wie "bürgerliche Medien", mittelschlechte und jene, die, als Teil der Linken, noch irgendwie "zu uns" gehören, verunmöglicht. Aber er tut das leider nicht, weil er jedem "Wir" misstraut, sondern weil er ein totales "Wir" voraussetzt. Alle und alles andere ist komplett falsch, ist "Milieu", Teil des Problems. Damit erspart man sich schon mal einiges an Auseinandersetzung. Hier könnte man schon gleich aussteigen, selbstgerechte Avantgarden gab es reichlich, und sie wurden immer ihr eigenes Problem. Aber der Text wirkt trotzdem, offenbar nicht nur auf mich.

Wahrscheinlich haben wir es mit der Situation zu tun, dass das Sich-in-Pose-Schmeißen zwar einerseits als machistisches Gebaren als unbrauchbar befunden wurde, dass diese "Erkenntnis" aber keine gemeinsame radikale Sprache hervorgebracht hat. Zwar hat sie seit den 1990er Jahren das politische Geschehen in der Linken durchaus geprägt und Sex, Geschlechterrollen, Kultur, Kolonialgeschichte zu Feldern der Auseinandersetzung gemacht, sie hat aber ihre Dynamik verloren.

Wenn es stimmt, wie das Komitee schreibt, dass der Kampf seine Sprache erschafft, und wenn sie selbst im Kampf offenbar diese Sprache gefunden haben, dann zeigt das, dass die dekonstruktiven Kämpfe der 1990er Jahre nicht mehr richtig geführt werden. Was aber nicht heißt, dass das nicht möglich wäre. Die zunehmende politische Neutralisierung dieser Ansätze in den Universitäten oder Kunstarenen ist ja durchaus angreifbar.

Sowohl in der taz als auch in der Jungle World wurde der kommende Aufstand als "rechter Text" bezeichnet. Er sei antimodern und antidemokratisch und von einem quasi-religiösen Heilsversprechen durchsetzt. Was haltet ihr von dieser Beschreibung?

S.G.: Das trifft es wirklich nicht. Nur weil sie keine Vollversammlungen wollen? Dann war die französische Résistance, auf die sie sich oft beziehen, auch antidemokratisch. Allerdings ist die im Text aufgerufene Verbrüderung und Verschwesterung schon so etwas wie eine Initiation, eine besondere Fügung, eine Form der Lebensentscheidung. Sie schreiben, man habe uns an eine "neutrale Form der Freundschaft" gewöhnt. Wenn sie nun Freundschaft und Liebe entneutralisieren wollen und daraus militante Entschlossenheit ableiten, dann verblüfft mich das. Das ist wirklich schön gedacht (meinetwegen: auch von den Autoren erlebt), aber es entspricht nicht der Vertracktheit, mit der sich die Liebe, die ich kenne, sperrt.

Man darf aber nicht vergessen, dass der Text gewisse Dinge vorausschickt, die ihn um einiges komplexer machen, als er beim Lesen zunächst daherkommt. Die Autoren sprechen von mehreren Positionen aus, die bewusst nicht einfach zusammenpassen. Gleich zu Beginn ist von einer vollständigen Einsamkeit die Rede - zugleich klingt der Text immer so, als spräche er aus einer berstenden Kommune von Draufgängern, Zu-allem-Entschlossenen.

Zudem will der Text einen Zustand vorwegnehmen, der kommen wird: der gesellschaftliche Zusammenbruch. Damit spricht er sozusagen aus der Zukunft heraus. Wenn alle Banken geschlossen sind und auch die Automaten nichts mehr rausgeben, klar, dann glaube ich auch, dass sich das Soziale umkrempelt. Aber es bleibt ein wenig mysteriös, wie man die Argumentation gleichzeitig in der völligen Einsamkeit des Jetzt und in der Gemeinschaftlichkeit eines kommenden Zustands verankern kann.

H.P.K.: Ich finde die Reaktionen der taz und der Jungle World nicht zufällig. Beide stehen am rechten Rand der linken Presselandschaft. In der Art und Weise, wie sie das Buch besprechen, wollen sie den Fragen, die der Text aufwirft, ausweichen. Es ist die linksliberale Antwort auf diejenigen, die das anything goes infrage stellen. Die Reaktionen erinnern daran, wie früher auf Texte der bewaffneten und militanten Linken in Westdeutschland reagiert wurde. Während damals das bürgerliche Feuilleton von "anarchistischen Gewalttätern" redete, sprach das linksliberale Milieu von den "Nihilisten mit der Knarre".

Welche Fragen wirft der Text deiner Meinung nach auf?

H.P.K.: Der Text fragt danach, wie revolutionäres Handeln aussehen kann und welche Formen der Repräsentation zu wählen sind. Insofern stört mich an der linken Rezeption auch, dass sich viele schnell auf die Schwächen in der Argumentation konzentrieren. So umgehen sie die m.E. wesentlichen Fragen: Wie soll unsere Politik überhaupt zu einem radikalen Gegenentwurf werden können? Ist es das kritische Mitwerkeln an der allgemeinen Unordnung, ist es radikaler Reformismus, ist es allein Bündnisoffenheit und die erprobte Fähigkeit, mit vielen zu kommunizieren? Oder braucht es nicht auch eine antagonistische Position, die eine radikale Abkehr praktiziert? "Nichts von den Organisationen erwarten. Allen bestehenden Milieus misstrauen, und zuallererst verhindern, zu einem zu werden", fordert das "Unsichtbare Komitee". Das permanente Infragestellen des eigenen Selbstverständnisses provoziert natürlich, wenn radikale Linke - auch die IL - in bestimmten Momenten durch die Praxis auch wirkungsmächtig werden. Wo sind wir Intervention, wo Rebellion, und wo nur Milieu, also nur eine weitere Komplizenschaft mit dem metropolitanen Irrsinn? Letztlich: Wie verhindern wir, als Teil des Problems zu handeln?

S.G.: Das kann man gar nicht verhindern, und das ist in meinen Augen auch eine paranoide Frage. Nimmt man Kapitalismus als Krise ernst und auch die These von der kommenden Ausweitung des Chaos, dann kommt es gesellschaftlich nicht auf deinen revolutionären Beitrag an. Von Belang ist das eher für den und die Einzelne, die hat nämlich Angst vor dem Chaos - oder vielleicht auch nicht. Interessanterweise argumentiert der Text nicht moralisch, sondern geht vom individuellen Eigeninteresse am Bruch aus. Insofern ist das Heilsversprechen, das ihr oben in der Frage angesprochen habt, in dem Buch vor allem eins der Selbstherstellung: Den Bruch zu machen, verändert das eigene Leben, eine Autointoxikation revolutionären Feuers - und dann wird alles anders.

Der totale Bruch mit der Gesellschaft, den der Text fordert, mündet in ein radikales Aussteigertum und den Angriff von außen auf das Bestehende. Das ruft Erinnerungen an Beschreibungen des autonomen Lebensgefühls der 1980er Jahre hervor. Wieso gilt ein Text, der an ein mindestens 30 Jahre altes Gefühl appelliert, auf einmal wieder als aktuell? Oder anders: Was spricht der Text eigentlich an?

S.G.: 30 Jahre, ja und? Gemeinsam ein Haus zu besetzen, ist sicherlich nach wie vor ein tolles Gefühl. Und es ist heute nicht weniger als 1980 ein Ausstieg aus sehr vielen gesellschaftlichen Zwängen. Die Verbindung von Intensität und Politik ist im Text sehr stark.

H.P.K.: Ich finde die Frage falsch gedacht. Die Folie, vor dem das Buch argumentiert, ist doch real: die Aufstände in den Banlieues, die rebellische Jugend in Griechenland, die jüngsten Massenproteste in Italien. Selbst bei uns gibt es diese Spuren. Vielleicht nicht in den tradierten linken Formen und Zeichen. Aber die ganze "Integrationsdebatte", der Herrschaftsdiskurs über die vermeintlich Anderen, die sogenannte Parallelgesellschaft - und gleichzeitig die Ausbrüche, die neuen Sprachen der Straße, das migrantische Selbstbewusstsein. Da muss man wirklich nicht die Autonomen der 1980er Jahre bemühen. Die Unruhe, das Ich-mach-da-nicht-mehr-mit - die Momente finden im Hier und Heute statt. Der Text ist kein "No Future", sondern sagt uns: Erst wenn sich die Einzelnen aus der herrschenden Zurichtung und Entfremdung befreien, also bereit sind, mit den Konventionen zu brechen und im Widerstehen erkennen, was sie fesselt, erst dann ist Zukunft möglich. Ob diese strategische Hypothese so funktioniert, ist aber eine andere Frage.

S.G.: So wie du es formulierst, finde ich es jetzt selbst wieder religiös. Alles hinter sich lassen, einen subjektiven Bruch machen - das macht Jesus ja auch mit seinen Jüngern, und da wäre ich auch nicht mitgegangen. Entfremdungsphobie ist ein ganz falsches politisches Motiv, eine Fiktion des 19. Jahrhunderts, die immer noch wirkt.

H.P.K.: Ich bin völlig frei von christlichem Glauben. Aber die Unbedingtheit des Satzes von Jesus "Folge mir und lass die Toten ihre Toten begraben" ist der Punkt, der einen Aufbruch erst zum Ereignis werden lässt. Das hat nichts mit Religion zu tun.

S.G.: So gegenwartsversessen kann man in der Realität gar nicht sein. Das gibt ein Jetzt immer nur kurz her. Für mich ist das eine interessante Frage.

Offenbar trifft gerade die Entfremdungskritik, die der Text formuliert, das Unbehagen über das heutige Leben, einen Nerv.

S.G.: Auf jeden Fall ist es eine sehr große Frage. Die angeblich verlorene Intimität zwischen den Menschen ist historisch genau in dem Moment erst als Idee entstanden, als sie von der technischen und kapitalistischen Welt bereits zerstört schien. Vorher gab es das Konzept der Intimität weder in der Familie noch anderswo in der Gesellschaft. Ob das "Unsichtbare Komitee" sich wirklich entfremdet fühlt und ob das dem entspricht, was sie Jugendlichen in Shopping Malls unterstellt und auch vorwirft (oder wie soll man das Beispiel des "jungen Mädchens, das sein Glück bei Klamotten, Männern und Feuchtigkeitscremes sucht", sonst verstehen?), wage ich zu bezweifeln. Bleiben wir lieber dabei, dass sie wütend sind.

Zum Gesellschaftsbild, das "der kommende Aufstand" entwirft. In den westlichen Gesellschaften sei die Macht dezentral und allgegenwärtig, die Herrschaft totalitär.

S.G.: Gibt es ein Gesellschaftsbild? Vielleicht will der Text gar nicht so weit gehen? Vielleicht ist er mehr ein Bekenntnis und eine Erfahrung. Die Autoren geben aber nicht preis, ob es sich um ihre eigenen Erfahrungen handelt oder nicht. Das Fehlen von Widersprüchen in dieser heraufbeschworenen Erfahrung lässt zumindest den Schluss zu, dass sie nicht von ihren individuellen konkreten Erfahrungen sprechen. Die beschriebene Erfahrung aber auf die Gesellschaft hochzurechnen, finde ich problematisch, an einigen Stellen wird es für mich dann falsch: Geld z.B. ist nicht nur einfach etwas, das man mal besser weglässt, auch wenn es stimmt, dass Kapitalismus nicht ohne Geld funktionieren kann. Im Umkehrschluss heißt das aber nicht, dass Geldlosigkeit produktiv anarchisch ist.

H.P.K.: Ich teile viele Konsequenzen des Textes nicht. Aber dass versucht wird, eine Zentralperspektive zu formulieren, gefällt mir. Die zentrale These des Buchs lautet: Aufgrund der Destruktionskräfte des Kapitalismus wird sich der Zusammenbruch ereignen, und es kommt darauf an, das Ereignis zu beschleunigen. Mit dieser Figur operiert der Text auf der strategisch-theoretischen Ebene. Im Konkreten springt das Messianische sehr ins Auge. Sie sprechen von der "wirklichen Kommune", in der sich die Einzelnen (zusammen)finden, bestimmen sie dann aber am Beispiel der Barrikaden in der Hamburger Hafenstraße in den 1980er Jahren. Kommune ist also auch eine Unbedingtheit der Haltung und weniger ein ländlicher Rückzugsort. In Deutschland würden wir eher von Kollektiven sprechen.

Man muss den Text in der französischen Geschichte der Linken nach dem Pariser Mai 1968 lesen. Das Moment der Zurückweisung all dessen, was mit politischer Repräsentation, Politik und Milieu zu tun hat, hängt eng mit dem Habitus der realkommunistischen und trotzkistischen Parteien zusammen. Immer wenn unmittelbare Spontaneität auf den Straßen war, drohte sofort die Inkorporation von links, der Versuch die Rebellion in Realpolitik zu übersetzen. Davor zu fliehen und den Bruch zu einem System zu suchen, dessen Facetten nicht alle totalitär sind, das aber in seiner Wirkungsmächtigkeit totalitär ist, kann ich nachvollziehen und finde ich auch keinen falschen Ansatz.

Und: Ist es nicht tatsächlich so, dass nicht die Wirtschaft in der Krise ist, sondern dass sie die Krise ist? Dass die Arbeit nicht fehlt, sondern es zu viel Arbeit ist? Das ist doch eine völlig richtige Aussage. Der Text beschreibt Arbeit als Zusammenspiel von Ausbeutung und Teilhabe. Das Moment der Teilhabe wird von den traditionellen Teilen der Linken überhaupt nicht verstanden. Warum wollen die Menschen arbeiten, obwohl sie die Arbeit als Ausbeutung begreifen? Weil sie in diesem Moment existieren, weil die Arbeit Sinn stiftet und Teilhabe bedeutet. Alle Krisenbündnisse in diesem Land sollten diese Passage lesen. Nicht weil es die Antwort auf das Problem der fehlenden Mobilisierung gibt, sondern weil es einen völlig anderen Zugang zur Frage der Organisierung der Arbeit bietet. In diesem Aspekt ist der Kapitalismus absolut totalitär, weil er biopolitisch in die Freiheit, in die ganze Existenz, in das Dasein wirkt. "I am what I am." Das ist der Punkt.

S.G.: Das teile ich, das beschreibst du sehr gut. Allerdings liegt hier für mich eine andere theoretische Investition, wenn man das so sagen kann. Diese biopolitische Verdichtung der Absorption des Einzelnen kann man nicht nur als eine Form der Herrschaft betrachten. Als wenn man die gesellschaftliche biopolitische Zurichtung einfach wegnehmen könnte und übrig blieben tolle und gesunde Natur-Anarchos. So schön es klingt, dass erst mit dem Bruch die Zukunft beginnt und überhaupt die Zeit, so falsch kann es auch sein. Wenn das stimmen würde, hätten die Unterdrückten nie Zeit gehabt; haben sie aber. Für mich spricht daraus eine mangelnde Anerkennung des tatsächlich gelebten Lebens, der Erfahrungen und Verluste. Es ist nämlich nicht die Zeit der Zukunft, die bleibt, sondern die vergangene. Man trägt sie mit sich herum, sie lässt sich nicht durch das Bild des Bruchs abtrennen.

Die Beschreibung der Arbeit ist sicherlich eine der stärksten Passagen des Buches. Aber ist das totalitär? Liegen nicht genau darin ein starker Widerspruch und eine Möglichkeit für politische Intervention? Weil die Arbeit auch Selbstverwirklichung und sinnvolle Tätigkeit ist, weil man gern ein sinnvolles gesellschaftliches Gut produzieren möchte, lehnt man die kapitalistische Form, die das der Frage des Profits unterordnet, ab?

H.P.K.: Jede linksradikale Praxis ist doch völlig minoritär. Ich denke, erst wenn wir das Totale dieses System in allen sozialen Beziehungen begreifen, können wir gesellschaftliche Widersprüche gezielt zuspitzen. Ich bin in der IL und denke natürlich, dass Kämpfe und Mobilisierungen konkrete Fragen verschieben können und dass sich das auch lohnt. Wer aber nicht bereit ist, sich auch außerhalb der allgemeinen Gemengelage zu denken, droht zum Teil des Problems zu werden.

S.G.: So allgemein könnte ich das gar nicht entscheiden. Aktuell scheint nicht gerade die Zeit zu sein, wo Linke von innen heraus große Veränderungen bewerkstelligen können. Deshalb hat der Text, denke ich, auch diese Wirkung. Aber ich sehe hier eher Gleichzeitigkeit: Man kann sowohl - wie du sagst, "Teil des Problems" sein, als auch etwas herstellen oder an etwas teilnehmen, was sich dennoch "lohnt" - und sich dem biopolitischen Zwangsverhältnis entzieht.

Ich glaube, dass keine sinnvolle Trennung zwischen den Menschen vor und nach dem Bruch zu machen ist. Wer sich den Menschen außerhalb der Gesellschaft vorstellt, trennt ihn von seiner Geschichte und begibt sich in die Gefahr, die Fehler der Avantgarde zu wiederholen, ein Modell zu schaffen und dann die Menschen dafür herstellen zu müssen.

Reicht es aus, ein Ereignis zu prognostizieren und darauf zu warten, sich vorzubereiten? Ist nicht die interessantere Frage, wo man in den politischen Prozessen und in den Widersprüchen der Gegenwart Ansatzpunkte findet, darüber hinaus zu kommen?

H.P.K.: Man kann das auch umdrehen. Warum sind wir nicht bereit, wirklich etwas Neues zu begründen? Ausgangspunkt jeder Rebellion ist auch das Nicht-Mehr-Warten-Wollen. Der Text macht diesen Punkt. Man kann ihn ablehnen, aber man sollte zur Kenntnis nehmen, dass alleine die Frage danach in der radikalen Linken schon lange nicht mehr kollektiv diskutiert wird. Politik wird so zur rein individuellen Sache, ebenso wie man sein Leben finanziell, sozial und politisch organisiert. Unsere Antworten müssen nicht so ausfallen wie die des "Unsichtbaren Komitees". Aber die Fragen nach dem Gemeinsamen und den Möglichkeiten des Ausbruchs sollten neu gestellt werden.

H.P. Kartenberg ist aktiv in der Initiative Libertad! und Mitglied der Interventionistischen Linken, lebt in einer westdeutschen Großstadt und empfiehlt die frei verfügbare, Kollektivübersetzung des Textes.

Stephan Geene ist Mitbetreiber von b_books, einem Buchladen, Verlag und Veranstaltungsprojekt in Berlin, das sich mit politischer Theorie, Queer Politik, Kultur und Film - und vor allem mit den Schnittstellen zwischen diesen Bereichen - beschäftigt.

Der kommende Aufstand - eine Zusammenfassung

"Aus welcher Sicht man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ohne Ausweg. Das ist nicht die geringste ihrer Tugenden." So beginnt "Der kommende Aufstand" des "Unsichtbaren Komitees", 2007 in Frankreich erschienen. Ausgangspunkt des Textes sind die Krawalle in den französischen Banlieues vom November 2005: "Das Einmalige besteht nicht in einer ,Revolte der Banlieues`, sondern in dem Bruch mit den etablierten Formen", schreibt das Komitee. "Man muss blind sein, um das rein Politische nicht zu sehen, das in dieser entschlossenen Verneinung der Politik steckt."

Damit ist die zentrale These des Textes umrissen: Die kapitalistische Gegenwart ist allumfassend, aber verrottet, der Systemkollaps wird kommen, er kündigt sich bereits an, und die Aufgabe besteht darin, den Zusammenbruch durch untergründige Aktionen zu beschleunigen und sich auf die Ereignisse, die kommen werden, vorzubereiten.

Die ersten sieben Kapitel beschreiben die Gegenwart. Hier dreht sich alles um den nahenden Kollaps des Systems, die fortschreitende Aushöhlung seiner zentralen Kategorien: der Arbeit, der Nation, des produktiven Individuums, der Wirtschaft, der Gemeinschaft, der Stadt, der Zivilisation - und um die Suche "der Macht" nach Strategien ihrer Erneuerung. Dabei dreht sich (fast) alles um die Entfremdung der Menschen von der Welt und allen "echten" menschlichen Beziehungen. Ihr kann man, so das Komitee, nur den Bruch mit der Gesellschaft, die Entscheidung für die Seite des Aufstands entgegensetzen.

Der Rest ist ein Aufruf zu handeln. AUF GEHT'S - SICH FINDEN - SICH ORGANISIEREN - AUFSTAND lauten die Titel der nachfolgenden Kapitel. Das Komitee fordert die Entscheidung für den Aufstand, die Wahl dieser "Wahrheit". Den Bruch mit allen Institutionen, den Aufbau von "Kommunen" und ihre Vernetzung, die Infiltrierung des Territoriums durch diese, die Aneignung von Mitteln der Sabotage und der Selbstversorgung und ihren Einsatz in den Momenten, an denen die Ordnung zusammenbricht - Beispiel: New Orleans nach dem Hurrikan Katrina. Sich von allem losreißen, abtauchen, und in den Momenten, an denen "die Macht" geschwächt ist, wieder auftauchen. Die Entscheidung darüber, was zu tun ist, "ergreift uns mehr, als dass wir sie ergreifen", heißt es an einer Stelle.

Den Text gibt es auf Deutsch in zwei Fassungen, einer der Edition Nautilus und einer anonym übersetzten ("blauer Einband"), die man in linken Infoläden oder im Internet bekommt, zum Beispiel hier: . Die Zitate sind aus dieser zweiten Fassung des Textes.

Unsichtbares Komitee: Der kommende Aufstand. Edition Nautilus, Hamburg 2010. 128 Seiten, 9,90 EUR

Quelle: analyse und kritik 557/2011,


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