Presseschau zu Bad Kleinen
In der heutigen Ausgabe der Tageszeitung "neues deutschland" gibt es ein Interview mit einer Genossin der Göttinger Gruppe "Antifaschistische Linke International" (ALI). Zusammen haben wir, Libertad! und ALI-Vorgängerin Autonome Antifa [M], vor zehn Jahren eine Kampagne zum 10. Todestag von Wolfgang Grams initiiert. Auch diese Kampagne wird in dem Interview erwähnt, das wir nachfolgend dokumentieren.
Welche Rolle spielte Bad Kleinen für die radikale Linke?
Der Tod von Wolfgang Grams beschäftigte auch antifaschistische Gruppen - um aus der Geschichte zu lernen
Franziska Larsz, 36 Jahre alt, ist aktiv in der Antifaschistischen Linken International aus Göttingen, die 2004 aus der Autonomen Antifa [M] hervorgegangen ist. Sven Gerner sprach mit ihr über die Bedeutung von Bad Kleinen - von 1993 bis heute.
nd: Was verbinden Sie mit dem 27. Juni 1993, dem Tag der Erschießung von Wolfgang Grams?
Gar nichts und zugleich alles. Ich war damals am Anfang meiner Politisierung in der Antifabewegung. Ich hatte keine persönlichen Bezüge zur RAF, zum antiimperialistischen Kampf oder gar zu Wolfgang Grams. Mich haben zu dieser Zeit am meisten die gerade beschlossene Abschaffung des Asylrechts und die Abwehr der Neonaziangriffe auf Flüchtlingsunterkünfte interessiert. Dennoch haben mich die Umstände der Erschießung von Wolfgang Grams stark geprägt. Ich war entsetzt - ungläubig und schließlich um so entschlossener: Wenn dieser Staat seine Gegner umbringt, bin ich eine Staatsfeindin.
Die Autonome Antifa [M] hat unmittelbar nach den Ereignissen in Bad Kleinen zu einer Demonstration nach Wiesbaden aufgerufen. Warum haben sich Antifagruppen zusammen mit Tausenden Demonstranten solidarisch mit dem bewaffneten Kampf in der Bundesrepublik erklärt?
Innerhalb der autonomen Antifabewegung stand die Organisierungsfrage auf der Tagesordnung. Welches sollte die richtige Struktur sein, um auf die nationalistische Welle im wiedervereinigten Deutschland zu reagieren? Wie konnte ein Weg aus der Schwäche der Linken gefunden werden? Dafür wurde auch das Gespräch mit den Gefangenen aus der RAF gesucht, es gab Briefkontakte und Besuche in den Knästen. Innerhalb der gerade neu gegründeten bundesweiten Antifaorganisation AA/BO fanden Seminare zur Geschichte des bewaffneten Kampfes statt. Da war es nur naheliegend, sich an der Demo am 10. Juli 1993 in Wiesbaden mit einem eigenen Redebeitrag zu beteiligen.
Im Jahr 2003 haben Sie die Initiative »10 Jahre nach dem Tod von Wolfgang Grams« ergriffen. Warum war Ihnen das wichtig, als die RAF längst Geschichte war?
Wir fühlen uns verantwortlich für die Geschichte und Weiterentwicklung der radikalen Linken. Diese Herausforderung haben wir 2003 gemeinsam mit anderen Gruppen aufgegriffen. Ziel war es - über die linke Öffentlichkeit hinaus - unsere Version der Geschichte zur Diskussion zu stellen. Das Stichwort Bad Kleinen sollte mit Kritik am staatlichen Vorgehen verbunden bleiben. Auch die Solidarität mit den politischen Gefangenen und Handlungsmöglichkeiten gegen die nach dem 11. September 2001 verschärften Sicherheitsgesetze befanden sich auf unserer Tagesordnung.
Heute gibt es keine linke Initiative anlässlich des runden Todestags. Ist das nicht mehr nötig?
Selbstverständlich ist auch heute noch ein Erinnern nötig. Die Frage ist nur: Wer nimmt sich dieser Geschichte an? Und welche Mittel haben wir zur Verfügung, um uns Gehör zu verschaffen? Die strömungsübergreifende Solidaritätsorganisation »Rote Hilfe« hat gerade eine Ausgabe ihrer Zeitung mit dem Schwerpunkt Bad Kleinen veröffentlicht. Darin sind auch die Zeugenaussagen dokumentiert, die belegen, dass Wolfgang Grams bereits schwer verletzt und wehrlos im Gleisbett lag, als GSG9-Beamte ihn mit einem aufgesetzten Kopfschuss hinrichteten.
Warum nehmen Sie und andere Linke sich heute, 20 Jahre später, dieser Geschichte nicht mehr an?
Als Antifagruppe ist es zugleich eine unserer Stärken und Schwächen, dass wir eine ewig junge Bewegung sind. Ein großer Teil unserer Aktivistinnen und Aktivisten war 1993 noch nicht einmal geboren. Für sie sind die bewaffneten Gruppen ein Kapitel im Schulgeschichtsbuch. Wir müssen also innerhalb unserer eigenen Strukturen immer wieder Erfahrungen der radikalen Linken an nachfolgende Generationen weitervermitteln und so aus der Geschichte für die gegenwärtigen und zukünftigen Kämpfe lernen.
Die gesellschaftlichen Umstände, die Themen, Kommunikationsmittel und Kampfformen haben sich innerhalb der vergangenen 20 Jahre stark verändert - jüngere Generationen haben heute also ganz andere Voraussetzungen. Dennoch bleiben grundlegende Fragen bestehen: Wie wird die radikale Linke zu einer relevanten Kraft? Was bedeuten Emanzipation und Befreiung für das eigene Leben und im weltweiten Maßstab? Welche Voraussetzungen müssen überhaupt geschaffen werden, um die revolutionäre Initiative wiederzuerlangen? Wenn wir nach Nordafrika, Westasien, Griechenland oder aktuell nach Brasilien und in die Türkei blicken, leben wir doch diesbezüglich in einer spannenden Zeit: Die Rebellion findet statt! Nehmen wir sie in die Hand!
Webseite der Kampagane aus dem Jahr 2003:
Das Interview erschien am 27.6.2013 im nd:
Weitere Texte aus dem neuen deutschland:
Bad Kleinen und die Gewalt der Nachwendezeit:
Glauben Sie's oder nicht...:
Und aus der heutigen Ausgabe der jungen Welt:
Tödlicher Zugriff:
O-Töne. Was wirklich geschah:
ALI hat auf ihrer Gruppenseite auch eine Sonderseite zu Bad Kleinen:
[ HOCH ] -
"Wer Folter befürwortet, foltert mit!" Deswegen: Folterbefürworter müssen öffentlich benannt und kenntlich gemacht werden.
gehe zu: Denn sie wissen, was sie tun