Wenn Tausende von Menschen sich vermummen, haben sie ein Gesicht!
In einer Erklärung geht das Netzwerk für Politische und Soziale Rechte auf die jüngsten Geschehnisse in Griechenland ein. Der Mord an Alexis Grigoropoulos käme nicht aus heiterem Himmel, sondern sei das Ergebnis eines "polizeilichen Kannibalismus". In der Erklärung heißt es u.a. "Der finstere Mord an Alexis führte zu der größten Erhebung seit dem Ende der Junta-Zeit 1974. ... Diese Erhebung wurde nicht nur durch die brutale Hinrichtung von Alexis Grigoropoulos hervorgerufen. In ihr kommt der Druck, die Wut und der Hass einer ganzen Bevölkerungsgruppe (die „Prekären“ nennen sie sie) zum Ausdruck, die tagtäglich die Wirklichkeit der tugendhaften Welt der Reichen auszuhalten hat: unsichere Lebensverhältnisse, Umherirren in der Arbeitswelt, tägliche Erniedrigungen, Polizeigewalt auf Plätzen, in Stadien und Straßen, Erstickung jeder Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben."
Siehe auch:
- "Der Gewaltausbruch in Athen ist verständlich"
- In den Riots. Brief aus Athen, Dienstag 09.12.08, 16 Uhr
- Internationaler Aktionstag gegen staatliche Morde: Wir vergessen nicht. Wir vergeben nicht.
Netzwerk für Politische und Soziale Rechte (Griechenland)
Kein Frieden ohne Gerechtigkeit
Die Zügellosigkeit der Polizei
Leider kam der bestialische Mord an Alexis Grigoropoulos nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er war kaltblütig, widersinnig und vollkommen grundlos; trotzdem war es ein „Tod mit Ansage“, unabhängig davon, was bisher von dem Mörder-Bullen und seinem Verteidiger-Paten gesagt wird. Und zwar deshalb, weil die Hand des Mörders geführt wurde von der verbreiteten, ungestraften und legalisierten Polizeigewalt der letzten Jahren gegen Migranten, Drogenabhängige, Roma und „lebenslustige“ Jugendliche. Sie wurde bewaffnet von der allgemein eingeführten Polizeiherrschaft, der Verfestigung des polizeilichen Kannibalismus und der Figur des Rambo-Bullen, der stolz darauf ist, wie viele Migranten er geschlagen und wie viele Fixer er erniedrigt hat.
Alexis wurde auf dem Altar der „Sicherheit” geopfert. Im Namen dieser Sicherheit füllen sich die Städte mit uniformierten Mördern, werden Migranten in der Ägäis ertränkt, wird versucht, die Berufstätigen und die Arbeitslosen, die Entlassenen und die „Arbeitsfähigen“ zu überzeugen, dass sie nicht von den Reichen, dem Kapital, dem Staat und den Multinationalen Konzernen bedroht werden, sondern von den noch Ärmeren als sie selbst, den Gejagten, den Parias, den Obdachlosen, denen, die „anders“ sind.
Wie sehr es auch utopisch und gegen die Logik erscheinen mag, wir bestehen auf unseren Forderungen:
- Auflösung der Bereitschaftspolizei und der polizeilichen Sondereinheiten
- Entwaffnung der Polizei
Die Plünderung unseres Lebens
Neoliberalismus bedeutet mehr als nur der enthemmte Markt und mehr als nur die größere Ausbeutung und Unterdrückung derer „von unten“. Es ist vor allem die ungezügelte Herrschaft der Reichen über die Armen, die absolute Missachtung individueller und kollektiver Rechte und noch schlimmer: Ihre Dämonisierung mit der Behauptung, dass diese Rechte schuld seien an der Besitzlosigkeit und der Verelendung, die auf dem Planeten herrschen.
Glücklicherweise ist der Mythos vom „Ende der Geschichte“ zusammengebrochen. Die Ideologie vom „Wohlstand der freien Märkte“ steht am Pranger. Die Weltwirtschaftskrise lässt keinen Raum für auch nur die geringste Illusion über die Lügen der Herrschenden.
Die Regierung Karamanlis hat den öffentlichen Sektor demontiert, die Teuerung in die Höhe getrieben, hat den staatlichen Besitz geplündert, die Sozialversicherungskassen beraubt, hat Hunderttausende von Menschen zu prekären Lebensbedingungen verurteilt, zu Besitzlosigkeit und sozialem Ausschluss. Damit ihr das alles gelingen konnte, hat sie der Allesfresserei der Kirche gehuldigt sowie dem Kannibalismus von Justiz und Polizei. Dies ist die Regierung der allgemeinen Ausplünderung, eine Regierung, die sich selbst das Recht angemaßt hat, von „Plünderungen“ und „Schutz des Eigentums“ zu sprechen.
Diese Regierung, die die Umwelt zerstört, die den öffentlichen Sektor ausverkauft, die die menschliche Arbeit erniedrigt, die Flüchtlinge tötet und Kinder mordet, muss weg. Nicht, um von dem PASOK des Mordes an Kaltezas und des Verabschiedens der Terrorgesetze gefolgt zu werden, sondern weil wir sie nicht mehr ertragen, weil uns ein menschenwürdiges Leben zusteht.
Die Erhebung
Der finstere Mord an Alexis führte zu der größten Erhebung seit dem Ende der Junta-Zeit 1974. Breiter, massenhafter, das ganze Land umfassend und entschlossener als am 25. Mai 1976 gegen das Gesetz Nr. 330, als beim Polytechnikum 1980, als die Bewegung anlässlich des Mords an Michael Kaltezas 1985, als der Ausbruch, der auf den Mord an Nikos Temboneras im Januar 1991 folgte.
Diese Erhebung wurde nicht nur durch die brutale Hinrichtung von Alexis Grigoropoulos hervorgerufen. In ihr kommt der Druck, die Wut und der Hass einer ganzen Bevölkerungsgruppe (die „Prekären“ nennen sie sie) zum Ausdruck, die tagtäglich die Wirklichkeit der tugendhaften Welt der Reichen auszuhalten hat: unsichere Lebensverhältnisse, Umherirren in der Arbeitswelt, tägliche Erniedrigungen, Polizeigewalt auf Plätzen, in Stadien und Straßen, Erstickung jeder Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben.
Unter den Tausenden von Menschen, die sich Straßenschlachten mit den Bullen liefern (die aber auch Banken und – leider, aber vollständig erklärlich – kleinere Geschäfte zerlegen), befinden sich große Teile unserer Jugend, Unterbeschäftigte, Arbeitslose, Schüler und Studenten, Einheimische und Migranten, Politisierte und Entpolitisierte, die die Gelegenheit ergreifen, ihren Hass auf die Bullen auszudrücken, auf die Reichen, auf die Symbole der Macht, des Reichtums und des Konsums; aber auch auf das, was sie sich wünschen und in diesem System des betrügerischen Luxus und der „Scheinheiligkeit des Wohlstands“ nicht haben.
Zu ihrer Ehre muss gesagt werden, dass – außer dem anarchistisch-antiautoritären Umfeld, das aus Prinzip an den Zusammenstößen teilnimmt – große Teile der radikalen Linken, trotz aller Widersprüche mit dem „Entglasen“ und den „Verwüstungen“, sich nicht dem Ruf nach Recht und Ordnung angeschlossen und die „Auswüchse“ nicht verurteilt haben, sondern auf die Straße gegangen sind. Sie demonstrierten mit den „Vermummten“ und riefen: „Sie reden von Gewinnen und Verlusten, wir reden von menschlichen Leben“. Sie verstanden, dass „die Praxis vor der Theorie kommt“ und stellten sich bedingungslos der polizeilichen Barbarei entgegen. Wir hoffen, das bleibt so…
Wenn die Jugend erschossen wird, muss die Linke nicht Abbitte leisten!
Ungehorsam und Zusammenstoß
Von Brixton und Los Angeles bis zu Genua und dem Aufstand in den Pariser Vorstädten zeigt sich, dass – gut oder schlecht, aber auf jeden Fall in der Realität – die Furten und Wege des sozialen Widerstands von dem allgemeinen Zustand der Gesellschaft und der Bewegung abhängen. Was sollen wir machen? Der Zustand der Gesellschaft, der Bewegung und der Linken (aller ihrer Strömungen) erlauben, dass wir mit vielen Tausenden wegen der Ermordung eines 15jährigen auf die Straße gehen, aber er reicht nicht aus für die Herausbildung einer kämpferischen Bewegung mit einem umfassenden politischen Plan. Würden wir Jahrestage des Protestes vorziehen? Vielleicht ist es besser, die Art und Weise zu überdenken, in der sich dieses gesellschaftliche Potenzial, das geplündert und erstickt wird, wirkungsvoller ausdrücken könnte.
Als Netzwerk nehmen wir bedingungslos an der Erhebung gegen die Regierung, die Reichen und die Polizei teil und unterstützen diese Bewegung.
Wir begrüßen die gesellschaftliche Wut gegenüber der plündernden und terroristischen Regierung; wir begrüßen die Empörung von Millionen von Menschen über den Mord an Alexis Grigoropoulos; wir begrüßen die Teilnahme von Zehntausenden Jugendlicher und junger Leute an den Angriffen auf Polizeireviere.
Gegenüber den Äußerungen des Ministerpräsidenten, mit „harter Hand“ durchgreifen zu wollen, gegenüber der Anbetung der gesetzmäßigen Ordnung durch die größte Oppositionspartei (PASOK), den „Wohlverhaltensaktionen“ von Bullen, „aufgebrachten Bürgern“ und Faschisten, gegenüber den Verbeugungen des Gewerkschaftsdachverbands GSEE und der „unversöhnlich klassenkämpferischen“ Kommunistischen Partei vor der Legalität und Recht und Ordnung, gegenüber den Verdrehungen der Wirklichkeit und den Verleumdungen der Massenmedien, vor allem der Fernsehkanäle, erklären wir, dass die Antwort nur eine sein kann:
Die gesellschaftlichen Kämpfe sind weder „unschuldig“ noch „schuldig“; sie sind gerecht. Wenn Tausende von Menschen sich vermummen, haben sie ein Gesicht!
9. Dezember 2008
Netzwerk für Politische und Soziale Rechte (Griechenland)
[ HOCH ] -
"Wer Folter befürwortet, foltert mit!" Deswegen: Folterbefürworter müssen öffentlich benannt und kenntlich gemacht werden.
gehe zu: Denn sie wissen, was sie tun