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Freitag, 22.11.2024

Kein Friede mit der NATO! oder: Das Recht auf Revolution

Im Frühjahr 2009 feiert die NATO ihr 60jähriges Bestehen und die militärische Durchsetzung und Absicherung der "Freien Welt". Dieses Synonym für die kapitalistischen Demokratien ist unter den Regierenden und Herrschenden insbesondere schon deshalb sehr beliebt, weil es suggeriert, als ginge es nicht um eine sehr blutige und mörderische Angelegenheit.
Libertad! ruft zu Protest und Widerstand gegen die Jubelfeiern auf.
- englisch: No Peace with NATO! Or: The Right to Revolution
- französch: AUCUNE PAIX AVEC L’OTAN ou LE DROIT A LA REVOLUTION

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Keine imperialistische Politik ohne Inszenierung von Macht. Im Frühjahr 2009 geht der nächste Event über die Bühne. Mit einem Gipfel in Kehl und Strasbourg will die Nato ihr 60. Jubiläum feiern.

Neben einer Geburtstagsfeier, die die NATO eigene Interpretation von Freiheit und Demokratie proklamiert, soll von dem Gipfel auch Großes ausgehen: „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World“ nennt sich das Strategiepapier, das zur neuen NATO-Doktrin werden soll. Der altbekannte Spruch, wonach die ganze Welt Sache der NATO sei, wollen die Militärs endgültig zur Einsatzgrundlage machen - inklusive globaler Militärinterventionen und Ersteinsatz von Atomwaffen gegen „Schurkenstaaten“.

60 Jahre NATO: Das ist die Gelegenheit mit einer starken, internationalen Mobilisierung den Kriegsstrategen so richtig die Show zu stehlen. Wenn die „Master of War“ sich mit großem Popanz selbst feiern, sind sie auch angreifbar. Also, eine wirklich gute Gelegenheit grundsätzlich und offensiv den Verantwortlichen für Krieg und Rechtlosigkeit entgegenzutreten. Die Tage 2007 in Heiligendamm haben gezeigt, wie im Zusammenwirken aller Kräfte eine gut organisierte Bildstörung die Sache der Emanzipation und des kollektiven Widerspruchs neu beleben konnte.

Globale Fronten:

Krieg ist kein Auslaufmodell. Mehr noch: Die heutige Weltordnung kennt keinen Frieden mehr ohne Krieg. Das ist der Punkt. Deswegen: „Krieg ist Frieden“ - die Parole trifft‘s. Sah das „klassische Muster“ vor, dass Kriege erklärt und mit Friedensschlüssen beendet wurden, ist in den imperialen Kriegen kein Ende in Sicht. Dabei wird nicht nur geschossen und gebombt. „Sicherheitspolitik“ und Krisenmanagement werden genauso über Institutionen wie IWF, Weltbank, G8 und eben auch die NATO exekutiert. „Globale Governance“ heißt das heute, meint aber vor allem eins: Absicherung des Weltmarktes, unbegrenzter Zugang zu Ressourcen, Verteidigung „westlicher“ Privilegien und Lebensweise bei gleichzeitiger Selektion und Aussperrung ungeheurer Massen in der „anderen“ Welt der Hungerdörfer, Favelas, Betonvorstädten oder Wohnheimen.

Imperialistisches Denken geht so: „Die unsichtbare Hand des Marktes wird ohne sichtbare Faust nicht funktionieren. McDonalds kann nicht expandieren ohne McDonnel Douglas, den Hersteller der F15. Und die sichtbare Faust, die die globale Sicherheit der Technologie des Silicon Valley verbürgt, heißt US-Armee, US-Luftwaffe, US-Kriegsmarine und US-Marinekorps.“ Vor 10 Jahren hat das Thomas Friedman, Sonderberater der damaligen US-Außenministerin Madeleine Albright, geschrieben. Unmittelbarer Anlass war die Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO. Und was für McDonalds und McDonnel Douglas gilt, gilt genauso für Volkswagen und EADS. Mittendrin statt nur dabei: In den neuen Kriegen ist das für Deutschland mittlerweile Tagespolitik.

Ein weiterer Aspekt muss hier angeschnitten werden. Er trägt die Überschrift „Rent a war“, denn in den neuen Kriegen sind neben regulären Armeen zunehmend moderne Söldner am Werk. Deregulierung und Privatisierung verändern auch die transnationale Sicherheitspolitik. Neben der Rüstungsproduktion ist Sicherheit ein Geschäft geworden, an dem viele Militär- und Sicherheitsunternehmen mitverdienen. Die Angebotspalette der Militärdienstleister ist vielfältig: Logistik, Objektschutz, verdeckte Operationen, Folter, Lagerbau, strategische und operative Kriegsplanung bis hin zu Kampf- und Kriegseinsätzen. Mit im Gepäck die Lizenz zum Töten. Jetzt schon werden in diesem Sektor mehr als 100 Milliarden Dollar im Jahr umgesetzt. Die Bereitschaft Kriege und viele eigene Kriegstote auf lange Zeit mitzutragen, kann in den Zentren sehr schnell sinken. Vietnam hat das historisch bewiesen und im Irak und in Afghanistan entwickelt sich die Situation ähnlich. Auch das erklärt, warum an den globalen Fronten private Akteure die staatlichen immer öfter ablösen.

Totaler Staat nach innen, Weltmacht nach außen:

Europa ist keine Alternative zur US-Kriegspolitik. Was in den 1980er Jahren mit strategischen Projekten begann - Europäischer Binnenmarkt, technologische Zusammenarbeit, Rüstungskooperation - könnte im Jahre 2010 seinen vorläufigen Abschluss finden: Europa soll bis dahin zum dynamischsten und wettbewerbsfähig-sten Wirtschaftsraum der Welt werden. So formuliert von den europäischen Staats- und Regierungschefs auf ihrem Sondergipfel im März 2000 in Lissabon. In Maßnahmen übersetzt heißt es seitdem im Innern der EU-Staaten: Privatisierung, Deregulierung, Reform der Steuer- und Sozialsysteme sowie der Arbeitsmärkte. Agenda 2010, das Lied ist bekannt. Es ist der Übergang von Welfare zu Warfare, vom Sozialstaat zum Straf- und Polizeistaat. Es ist die Doktrin der „Nulltoleranz“ für Arbeitslose, jugendliche Kriminelle und papierlose Migrantinnen und Migranten.

Und nach Außen heißt das für die EU, die politischen und ökonomischen Interessen global durchzusetzen. Eine eigenständige Militärpolitik ist dafür Bedingung. Das ist nicht zuletzt auch eine Konsequenz aus dem Krieg gegen Jugoslawien. Damals war die EU noch nicht in der Lage, einen Krieg selbstständig zu führen. Deswegen heißt es heute zwar Seite an Seite mit den USA, aber als eigenständiger Faktor entlang der Achse Paris/Berlin. Die NATO ist dafür der zentrale Ort. Es ist also kein Zufall, dass der Jubiläumsgipfel in Deutschland und Frankreich stattfindet. Frankreich wird dann auch wieder samt seiner Atomwaffen komplett in die NATO integriert sein. Old Europe ist Geschichte, auch wenn es der Antiamerikanismus sozialdemokratischer Prägung bis heute nicht wahr haben will.

Doch Krieg findet nicht nur außen, jenseits der Grenzen, statt. In der globalen Sicherheitsarchitektur sind innen und außen tendenziell aufgehoben. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Der kapitalistische Transformationsprozess verläuft in den Zentren weder stabil noch reibungslos und treibt auf der Ebene des Staates massiv die soziale Kontrolle voran. Flächendeckende Videoüberwachung, elektronische Fußfessel, großer Lauschangriff, genetischer Fingerabdruck oder Daten-Vorratsspeicherung - solche Maßnahmen zielen präventiv auf den Antagonismus, auf gesellschaftliche Widerstände, Streiks und Revolten.

Hinzu kommt, dass der „Krieg gegen den Terror“ in den westlichen Staaten selbst geführt wird und der Disziplinierung und autoritären Strukturierung der Gesellschaft dient. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“, formulierte einst der Nazi-Staatsrechtler Carl Schmitt. Auf dem Weg zum totalen Staat werden wesentliche Grenzen aufgelöst. Zum Beispiel zwischen militärischen und polizeilichen Befugnissen wie in Heiligendamm, wenn Bundeswehrtornados über das Camp in Reddelich fliegen oder Bundeswehrsoldaten Genfelder bewachen. Oder auch die Grenzen zwischen polizeilichen, militärischen und geheimdienstlichen Aufgaben: Die so genannte Antiterrordatei, eine gemeinsame Datenbank von 38 deutschen Ermittlungsbehörden, gehört hier genauso dazu wie die Diskussion über einen handlungsfähigen nationalen Sicherheitsrat jenseits des Parlaments.

Es werden neue Maßstäbe gesetzt. Maßstäbe, die dabei sind, die gesamten sozialen und politischen Verhältnisse zu formieren. Besonders deutlich wird das an der Frage der Folter. Denn nicht allein die globale Dimension der Verschleppungen, der Folterungen und der Lager ist neu, sondern mit welcher Selbstverständlichkeit heute von allen möglichen Leuten über das Recht zu foltern, natürlich immer nur ausnahmsweise und mit guten Gründen, diskutiert wird. Dinge, die vor einigen Jahren noch auf Widerstand und breiteste Ablehnung gestoßen wären, werden heute ohne großen Widerspruch hingenommen. Das Problem sind also nicht nur die Folterer, sondern genauso ihre gepflegten Befürworter in Universitäten und Talkshows.

Die neuen Feinde:

Sicherheit ist ein zentrales Schlagwort im „Krieg gegen den Terror“. Doch die westlichen Staaten beanspruchen für sich eine Sicherheit, die weltweit gar nicht existiert und vor allem den Menschen im Süden regelrecht verweigert wird. Eine Geschichte so alt wie der Kolonialismus selbst. Die zivilisatorischen Segnungen des Kapitalismus gab es schon immer nur für die privilegierten Klassen in den Metropolen. Der Rest der Welt ist vor allem mit seinen zerstörerischen und zersetzenden Einflüssen konfrontiert.

Kapitalistische Globalisierung und die neuen imperialen Kriege sind zwei Seiten einer Medaille. Es ist der Versuch, die aus der Kapitalakkumulation entspringende Krise militärisch in den Griff zu kriegen ohne sie jemals lösen zu können. Vom Kosovo über Palästina bis Bagdad und nach Kabul, von den Favelas der südlichen Megacities bis in die Banlieues und Gettos der Metropolen erleben wir unter der Dominanz des Westens eine Ausdehnung des Militärischen in alle gesellschaftlichen Bereiche. Ein deutliches Beispiel dafür ist die militarisierte europäische Migrationspolitik, die aufs Engste mit der herrschenden Sicherheits- und Kriegspolitik verflochten ist. Die operative Zusammenarbeit im Rahmen von FRONTEX ist darin genauso wesentlicher Bestandteil wie die Internierung von Flüchtlingen in Lagern außerhalb der Festung Europa.

„Gefährder“, „Schläfer“, „unrechtmäßiger Kämpfer“ oder „illegaler Einwanderer“, das Bedrohungsszenario ist vielfältig und konstruiert ein für die metropolitanen Wohlstandsinseln gefährliches Individuum, das erklärtermaßen außerhalb von Recht und Gesellschaft steht und notfalls zum Abschuss freigegeben wird. Gemeint sind Guerillas, Rebellen, soziale Widerstandsprozesse und Migrationsbewegungen aber auch regionale Warlords, islamische Gotteskrieger und Netzwerke wie Al Qaida. Manche Akteure sind Ausdruck gesellschaftlicher Zerfallsprozesse und von Verteilungskriegen. Andere wiederum sind authentischer Ausdruck sozialer Antagonismen und Rebellionen und Grundlage zukünftiger revolutionärer Bewegungen. Ahnend was in den nächsten Jahren noch alles auf sie zukommen wird, trägt das neue Army Field Manual der US-Armee nicht umsonst den Titel „Aufstandsbekämpfung“.

In den globalen Klassenauseinandersetzungen findet sehr wohl so etwas wie eine reaktionäre Politisierung der Revolte statt. Da gibt es nicht zu verharmlosen. Das beste Beispiel ist die Entwicklung des politischen Islams zu einem eigenständigen Faktor in den sozialen Konfrontationen. Seine momentane Stärke hängt unmittelbar mit den veränderten Kräfteverhältnissen und der Schwäche emanzipatorischer Politik zusammen.

Klar ist aber auch, dass hinter „unseren“ Wahrnehmungen und Interpretationen der islamischen Welt ein Herrschaftsproblem steckt. Im europäischen Kolonialismus gingen schon immer Aufklärung und Rassismus Hand in Hand. Imperialistische Expansionen und die Eroberung der Kolonien wurden ideologisch als Zivilisierung der „Wilden“ und als Befreiung von geistiger Finsternis verklärt. Zur missionarischen Rhetorik gehörte auch der „orientalische Charakter“, den man mit Irrationalität und Rückständigkeit gleichsetzte und das Bild der unterdrückten, Kopftuch tragenden muslimischen Frau. Der Islam und das westliche Bild davon sind eben nicht deckungsgleich. Das zweite ist ein Stereotyp, das schlimmstenfalls so funktioniert wie es der Karikaturenstreit gezeigt hat. Heute ist es „in“ an diesem Bild mitzustricken und auch „Linkssein“ schützt da nicht vor Geschichtslosigkeit.

Initiativen verbinden und
radikalisieren:

Zur Verwahrlosung von Teilen der Linken hierzulande gehört auch ein um sich greifender Bellizismus. Los ging‘s mit dem zweiten Golfkrieg 1991. Seitdem durften fast alle Fraktionen der deutschen Linken einmal ran, um ihre jeweils guten antifaschistischen Gründe für den neuesten Krieg aufs Tapet zu bringen. Der Verrat ist ein doppelter. Das letzte Wort des linken Bellizismus ist die Verteidigung der Verhältnisse hier und die Solidarität mit der Macht: Fanta statt Fatwa.

Dabei waren Antikriegsmobilisierungen und Internationalismus in Westdeutschland das entscheidende, ja sogar konstituierende Moment für eine sich radikalisierende Bewegungslinke der 1980er Jahre. Die militante Demo gegen das erste öffentliche Rekrutengelöbnis der Bundeswehr in einem Fußballstadion anlässlich ihres 25. Geburtstages ging als „Bremer Krawalle“ in die Geschichte ein und wurde zum Ausgangspunkt einer ganzen Reihe militanter Demos und Aktionen gegen NATO und Bundeswehr. Und auch schon davor war Antimilitarismus für alle Linken seit 1945 ganz selbstverständlich. Bis in kirchliche Kreise hatte er Konjunktur. Ein roter Faden, der sich von der Anti-Atomwaffenbewegung über die Vietnamsolidarität bis eben zur Anti-NATO-Kampagne durchzog und sich global zuletzt am 15. Februar 2003 in den weltweiten Massendemonstrationen kurz vor Beginn des dritten Golfkriegs ausdrückte.

Den Gipfel in Kehl und Strasbourg sollten wir zu einer starken antimilitaristischen Gegenmobilisierung nutzen und versuchen die peinliche Verzagtheit am „Thema“ Krieg aufzubrechen. Dabei können wir unmittelbar an die punktuellen Erfahrungen in Heiligendamm anknüpfen. Das Wesentliche dort war die Entschlossenheit im Handeln und eine kollektive Erfahrung von Gegenmacht. Und, dass das Gemeinsame aus einem Prozess des Handelns und der Kommunikation entsteht. Heiligendamm war sicher keine revolutionäre Aktion, aber dennoch für viele eine revolutionäre Erfahrung. Nutzen wir die nächsten Monate für die Organisierung einer vielfältigen (in Bezug auf die Mittel) aber gemeinsamen (in Bezug auf die Ziele), antimilitaristischen, sozialrevolutionären und antiimperialistischen Praxis, die die Feierlichkeiten der NATO nicht glatt über die Bühne gehen lässt und darin den Raum für weitere Diskussionen und Praxen öffnet. Der Versuch jedenfalls ist es wert!

Eine Kampagne gegen die NATO kann schon von der Sache her nur eine internationale sein, die weder mit dem Event beginnt, noch mit ihm endet. Auf dem Weg dahin gibt es jetzt schon Aktivitäten an die wir anknüpfen können. In Deutschland, wie zum Beispiel „Bundeswehr wegtreten“ oder die jährliche Mobilisierung gegen die Münchner NATO-Sicherheitskonferenz. Und europaweit, wo es fast überall (mal stärker, mal schwächer) lokale Mobilisierungen und Initiativen gegen Militärbasen, Auslandseinsätze und neue Raketenpläne gibt.

Delegitimierung von NATO und Bundeswehr, kompromisslose Positionierung gegen Krieg und Folter, Entsolidarisierung von den europäischen und US-amerikanischen Kriegsanstrengungen, keine Komplizenschaft mit der Macht, das sind konkrete Eckpunkte für eine radikale Mobilisierung über den Tag hinaus.

An Fahrt gewinnt eine Bewegung gegen die „sichtbare Faust“ der Globalisierung vor allem dann, wenn wir sie mit der Vielfalt der Bewegungen gegen die kapitalistische Globalisierung verbinden. Weil das eine nun mal nicht vom anderen zu trennen und die Frage von Krieg und Frieden existenziell ist. Und weil es im Kern um die Verfügungsgewalt über das eigene wie das gesellschaftliche Leben geht. „Das Recht auf Revolution“, schrieb einst Friedrich Engels, „ist ja überhaupt das einzige wirklich »historische Recht«, das einzige, worauf alle modernen Staaten ohne Ausnahme beruhen.“
Unser Sommermärchen kann weitergehen.
Auf nach Strasbourg und Kehl!

Initiative Libertad!, Juli 2008

Infos & Termine zu den Aktivitäten gegen die NATO-Feier:

- natogipfel2009.blogsport.de - -
V.i.S.d.P.: Hans-Peter Kartenberg, Initiative Libertad!, Falkstr. 74, 60487 Frankfurt, kampagne -(by)- libertad.de


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