Solidarität ist unsere Waffe!

Dienstag, 19.03.2024

Was will Libertad!?, Text von 1994

Der Text stammt aus einer Broschüre, die Libertad! im Mai 1994 veröffentlichte.

Inhalt

1. Zur Herausgabe
2. Entstehung von Libertad!
* 500 Jahre Unterdrückung und Widerstand
* Freedom Now! - Idee eines internationalen Netzwerkes
* Der Kongreß in München
* Gegen politische Defensive und nationale Enge
* Die Frage der Menschenrechte
3. Wir reden keiner Resignation das Wort
* Wir reden keiner Resignation das Wort
* Die eigene Haltung ist das Entscheidende
* Gegen die vorschnelle Agitation
4. Die Struktur von Libertad!
5. Fragen an Libertad!

Die kleine DinA5-Broschüre ist weiter erhältlich und kann bei uns bestellt werden: Verlag & Vertrieb

1. Zur Herausgabe

Viel haben wir uns vorgenommen. Libertad! wurde ins Leben gerufen, um eine Kampagne zu initiieren, die in hoffentlich nicht zu ferner Zukunft, einen jährlichen internationalen Kampftag für die Freiheit aller politischen Gefangenen weltweit erreicht. Schon für den Weg dorthin versprechen wir uns einiges: Diese internationale Kampagne, soll die Situation der politischen Gefangenen verstärkt ins allgemeine Bewußtsein rücken.

Das ist auch bitter notwendig. Fast in allen Ländern hat die radikale Bewegung einen schweren Stand. Während aber die Regierungen und Staatsapparate, die für Folter und Mord verantwortlich sind, immer enger zusammenarbeiten, sind die radikalen Gruppen weit von einer "Internationalen" entfernt. Die politischen Gefangenen trifft dieser Zustand hart, sind sie doch auf internationale Solidarität besonders angewiesen. In kaum einem Land ist die Solidaritätsbewegung so stark, die Gefangenen freizukämpfen.

Eine Zielsetzung von Libertad! ist es auch, gegen das Vergessen anzukämpfen. In einigen Ländern, insbesondere in Südamerika und Südafrika, kamen in den letzten Jahren vielfach Gefangene im Zuge des Wechsels von der Diktatur zur sogenannten Demokratie frei. Nirgendwo kamen sie alle und vorbehaltslos frei. Und der Preis selbst dafür war immens hoch. Die Freiheit der Gefangenen wurde eingetauscht gegen die Straffreiheit der Militärs, Folterer und Mörder. Die Folter ist weiter in diesen Gesellschaften gegenwärtig; sie ist mitten in ihnen - es ist eine Toleranz, die jeden Wandel von innen zerfrißt und die Gefangenen, die Opfer der Folter zu Ausgestoßenen macht.

Jede Bewegung, die für die Freiheit der Gefangenen eintritt, muß auch deutlich machen: Keine Straffreiheit für Folterer. Nichts wird vergeben und vergessen!

Um diesen gemeinsamen Kampftag zu schaffen müssen verschiedenste Gruppen und Bewegungen auf internationaler Ebene zusammenarbeiten. Das kann zur Herausbildung eines internationalen Netzwerkes beitragen. Die Situation der Gefangenen aus Klassen- und Befreiungskämpfen schreit nach Anstrengungen in diese Richtung. Wenn diese internationale Kampagne auch nicht ihre unmittelbare Freiheit bedeuten kann - selbst dann nicht, wenn die Kampagne schon so weit entwickelt wäre, einen internationalen Kampftag morgen auszurufen - so kann sie aber vielleicht doch ein wachsender Schutz für die Gefangenen sein.

So weit ist es noch lange nicht.

Die gemeinsame Idee entstand in München während des Weltwirtschaftsgipfels 1992. Im Frühjahr 1993 wurde der deutsche Initiativkreis Libertad! gegründet - und im Oktober 1993 wurde der erste Aufruf für die BRD veröffentlicht. Wir haben diese Zeit gebraucht, um die Initiative auf den Weg zu bringen. Aber auch in den Ländern, aus denen Genossinnen und Genossen diese Idee gemeinsam mit uns entwickelt haben, ist die Kampagne noch nicht "weiter". Wir wollten keine Initiative mit Organisationen aus anderen Ländern beginnen, ohne gleichzeitig sagen zu können, daß die Kampagne hier im Land laufen wird.

Die ersten Anstregnungen von Libertad! liegen darin, die Idee dieses internationalen Kampftages in der BRD zu propagieren. Dem dient auch dieses kleine Heft, das hoffentlich weite Verbreitung findet und dafür taugt, Libertad! über den Aufruf hinaus vorzustellen.

Dieses Heft basiert auf der Mitschrift eines Treffens, zu dem Libertad! im Januar 1994 eingeladen hatte. Vor allem Gruppen, die in der "500 Jahre-Kampagne" aktiv waren, sich im antifaschistischen Kampf organisieren oder aus der Solidaritätsarbeit mit den Gefangenen, hatten wir angesprochen. Dort wurden unsere Vorhaben und Überlegungen vor- und zur Diskussion gestellt.

Den Kreis hatten wir bewußt eingegrenzt. Das soll niemanden ausschließen. Vielmehr beabsichtigen wir, weitere solcher Treffen durchzuführen. Zu einem nächsten werden wir inbesondere in Deutschland aktive Exilorganisationen und MigrantInnen einladen. In der BRD befinden sich gegenwärtig mehrere Hundert "nichtdeutsche" politische Gefangene in den Knästen.

Ihnen senden wir unsere solidarischen Grüße!

Mai 1994

2. Entstehung von Libertad!

500 Jahre Kolonialismus und Widerstand

Im Herbst 1993 trat der deutsche Initiativkreis Libertad! mit dem Aufruf "Freiheit für alle politischen Gefangenen weltweit" an die Öffentlichkeit. Die Geschichte der Idee eines internationalen Tages für die Freiheit der Gefangenen kann nicht geschrieben werden, denn sie ist vielfältig in allen Ländern, zu allen Zeiten und immer wieder in den Solidaritätsbewegungen entstanden. Wer könnte da einen Ort oder ein Datum nennen?

Um beizutragen, daß aus dieser Idee Realität wird, wurde der Initiativkreis Libertad! gegründet. Sein unmittelbarer Anlaß ist die gemeinsame Schlußfolgerung von Vertreterinnen und Vertretern internationaler Organisationen während des Weltwirtschaftsgipfels in München 1992. Die Idee einen solchen internationalen Tag zu initiieren, gründet sich aus den Erfahrungen der Unterdrückung und des Widerstand gegen Repression und Folter. Entstanden ist die Initiative bereits in den Vorbereitungen der Kampagne "500 Jahre Kolonialismus und Widerstand" und der Mobilisierung gegen den Weltwirtschaftsgipfel. Diese "Kampagne '92" griff die kontinentale Kampagne "1492 - 1992: 500 Jahre indigener, schwarzer und allgemeiner Volkswiderstand" auf, zu der sich in beiden Amerikas zahlreiche Organisationen zusammengeschlossen hatten. 1992 jährte sich zum 500. Mal die Eroberung des amerikanischen Kontinents durch weiße, europäische Kolonialisten. Die Herrschenden nahmen dieses Datum zum Anlaß, die Geschichte und die Gegenwart des Kolonialismus zu verherrlichen. Ein Grund, Protest und Widerstand gegen die Jubelfeiern und den Weltwirtschaftsgipfel auch in Deutschland auf die Straße zu tragen. Ein Grund auch, dieses Datum zum Ausgangspunkt einer Initiative zu nehmen, die sich mit weiteren 500 Jahre der Unterdrückung nicht abfinden wird.

Radikale und revolutionäre Kräfte aus Basis- und Befreiungsprozessen müssen international zusammenfinden, damit eine solche Forderung den notwendigen Druck erzeugen kann. "Internationale Solidarität ist das Lebenselixier für alle Befreiungsprozesse. Wir müssen voneinander lernen, uns gegenseitig unterstützen und gemeinsam kämpfen, um neue Perspektiven in der veränderten Situation zu entwickeln". (aus dem Aufruf "Blick nach vorn im Zorn")

Freedom Now! - Idee eines internationalen Netzwerks

Ein weiterer Baustein für die Überlegungen zur Gründung von Libertad! waren die Gedanken, wie sie zum Beispiel von Dhoruba Bin Wahad, einem schwarzen, ehemaligen Gefangenen aus den USA, geäußert wurden. Auch seine Forderung im Rahmen der Freedom Now!-Kampagne in den USA und auf Rundreisen in Deutschland war immer wieder: Wir müssen viel mehr voneinander wissen. Radikale und revolutionäre Gruppen müssen sich austauschen. Für eine Diskussion gemeinsamer Perspektiven ist das eine wesentliche Voraussetzung.

"Die Frage der politischen Gefangenen ist eine Frage, die grundsätzlich und wichtig genug ist, um Bewegungen zu vereinigen. Weil das Haupthindernis politischer Organisationen natürlich die Repression ist. Es gibt eine Sache, der sich alle sicher sein können: Wenn ihr in radikaler und revolutionärer Art und Weise kämpft, werdet ihr ein Ziel des Staates werden. Und wenn ihr keine Bewegung gegen die Repression aufbaut, wird niemand da sein, um euch zu befreien, wenn ihr unterdrückt werdet. Der Kampf gegen die Repression ist eine ethische Frage. Man muß nicht die Politik der politischen Gefangenen unterstützen, wenn man die Rechte Andersdenkender unterstützt. Jede Nation im Westen hat politische Gefangene. Und die kommen aus Communities wie der euren. Und da wir das gemeinsam haben, sollten wir damit beginnen, eine internationale Bewegung für die Befreiung aller politischen Gefangenen und Kriegsgefangenen aufzubauen, die von den faschistischen und rassistischen Regierungen des Westens gefangen gehalten werden." (Dhoruba Bin Wahad in: "500 Jahre Dominanz und Widerstand", S. 77)

Diese Überlegungen zur Notwendigkeit einer internationalen Bewegung für die Freiheit aller politischen Gefangenen, führten zum Vorschlag, ein internationales Netzwerk aufzubauen. Gruppen und Bewegungen, die für die Freiheit der Gefangenen und gegen staatliche Unterdrückung kämpfen, sollen sich verbinden. Libertad! versteht sich als Teil eines solchen zu schaffenden Netzwerkes. Unsere Überlegung ist, daß eine Initiative wie Libertad! die internationale Zusammenarbeit stärken und eine "Internationale" perspektivisches Ziel sein kann. Für eine internationale Basisbewegung braucht es aber einen konkreten Ansatz.

Der Kongreß in München 1992

Diese beiden wichtigen Überlegungen begründen auch das Engagement von Gruppen im Initiativkreis Libertad!, die sich bereits an der Anti-WWG-Mobilisierung beteiligten. Für Libertad! herausragend war das Forum 1 "500 Jahre Kolonialismus und Widerstand - Demokratie und Menschenrechte in der 'Neuen Weltordnung'" des internationalen Kongresses gegen den G7-Gipfel. "Die amerikanische 500-Jahre-Kampagne hat ein Moment von politischer Unterdrückung und Widerstand herausgestellt: die Frage der politischen Gefangenen, beispielhaft an Leonard Peltier, dessen Freilassung gefordert wird. Das Forum nimmt diese Initiative auf und stellt sie in den Zusammenhang der Behandlung von politischen Gefangenen in den verschiedenen Teilen der Welt und der Menschenrechtssituation in der 'Neuen Weltordnung'. Auch sind die Kämpfe um nationale Selbstbestimmung, soziale und politische Emanzipation verstärkter Repression unterworfen. Welche Vorstellungen entwickeln solche Bewegungen für ihre Länder und wie behaupten sie sich gegenüber dem kapitalistischen Hegemonieanspruch? Das Forum will diese Diskussion mit der Frage nach unserem Verständnis von Menschenrechten, Demokratie und Emanzipation verbinden". (aus: Einladung des Forum 1, in: Flugsand, Dokumentation des Forum 1)

Dem Forum gelang es in eindrucksvoller Weise, die Frage der politischen Gefangenen weltweit zu thematisieren und die Solidarität zu bestärken. Insbesondere die im Rahmen des Forums durchgeführte internationale Veranstaltung mit mehr als 500 Menschen hat dies ausgedrückt. Einmütig und ausdrucksstark zeigte sich dort, daß die Forderung nach "Freiheit für alle revolutionären Gefangenen weltweit" von vielen unterstützt wird.

Daraus entstand in München in der gemeinsamen Diskussion der vom Forum 1 eingeladenen Vertreterinnen und Vertretern internationaler Organisationen der Wunsch, über alle ideologischen Schwierigkeiten und Unterschiede hinweg, etwas Gemeinsames mit in die jeweiligen Länder und zu ihren Leuten zu nehmen. Die stellvertretend für alle Anwesenden verfaßte Erklärung ist im Libertad!-Aufruf zitiert.

Dieses Treffen ist sozusagen die Geburtsstunde von Libertad! München war der Beginn, dort wurde der Beschluß gefaßt, in allen beteiligten Ländern eine Initiative für einen solchen internationalen Tag zu starten. Wir haben dann überlegt, wie wir das in Deutschland umsetzten können. Aus Erfahrungen, wie gerade Verabredungen aus bundesweiten und internationalen Treffen, die nicht organisatorisch eingebunden sind, oftmals "vergessen" oder zerredet wurden, wurde sehr schnell entschieden, nicht sofort mit dieser Idee an die Öffentlichkeit zu gehen. Erst sollten Vorbereitungen getroffen werden, damit an einem konkreten Vorschlag diskutiert werden kann.

Daraus ist der Initiativkreis entstanden, mit der politischen Diskussion, die sich im Aufruf ausdrückt und einigen organisatorischen Vorstellungen, die später vorgestellt werden. Zum Charakter des Initiativkreises und der Aufgabe, die er sich gestellt hat, ist folgendes zu sagen: Mit einem Vorschlag sollte an die Öffentlichkeit gegangen werden und nicht nur mit einer Idee, die dann wieder versanden kann. Das ist die Arbeit, die wir seit Sommer 1992 gemacht haben.

Gegen politische Defensive und nationale Enge

In unseren Überlegungen ist das internationale Moment sehr stark. Immer wieder gab es Versuche eine internationale Vernetzung und gemeinsame Initiativen herzustellen. Letztendlich sind sie alle mehr oder weniger bilateral, also zwischen einzelnen Bewegungen oder Ländern geblieben. Darum ist für Libertad! wichtig, eine Initiative zu starten, die möglichst von Anfang an nicht nur das Ziel hat gleichzeitig aus verschiedenen Ländern zu kommen, sondern daß sie auch von Anfang an so angelegt ist. Deswegen ist Libertad! keine Initiative, die wir aus Deutschland vorschlagen und dann versuchen sie international durchzusetzten. Damit überhaupt eine tragfähige Kampagne und Mobilisierung entsteht, muß sie von der ganzen Entwicklung und Gestaltung aus ein gemeinsamer Prozeß mit Gruppen und Bewegungen aus anderen Ländern sein. Denn, bei allen Vorstellungen, diese Idee "Internationaler Tag" gibt es schon seit vielen Jahren. Sie konnte aber letztendlich nie realisiert werden, weil die Anstrengung es anzupacken auch heißt, eine Vorstellung davon zu haben, daß es eine sehr langfristige Sache und nicht eine kurzfristige Kampagne, wie zum Beispiel die Anti-WWG-Mobilisierung, ist.

In den Überlegungen zur Gründung von Libertad! spielen ebenso die Kämpfe und Bewegungen der "Solidarität mit den Gefangenen" in der BRD eine große Rolle. Aus den letzten Jahren ist für uns deutlich geworden, daß in der nationalen Enge, in der sie sich hauptsächlich bewegt hat, keine Lösungen zu finden sind. Neben allen Versuchen, die notwendig sind und die auch die Grundlage jeder Solidaritätsbewegung im eigenen Land sind, muß es eine internationale Solidarität und Zusammenarbeit geben, die mit der gleichen Anstrengung organisiert wird, wie die Mobilisierung im Land selbst.

Außerdem ist für Libertad! folgende Überlegung prägend: Wir haben gemerkt, daß eine Entwicklung eingetreten ist, in der die Solidarität mit den Gefangenen, sich viel zu eng in der Reaktion auf den eigenen Staat bewegt und sich von vornherein in einer Defensivposition befindet. Das hat sich zum Beispiel in den letzten Jahren in der Diskussion ausgedrückt, ob die Freiheit der Gefangenen überhaupt gefordert werden kann. Da ist von vornherein etwas zurückgenommen. Es ist nichts selbstverständliches mehr. Die letzten zwei, drei Jahre haben auch sehr deutlich gezeigt, daß eigenständige Entwicklungen da kaum noch möglich sind. Auch von dort aus müssen neue Versuche gemacht werden.

Ein anderer Beweggrund für Libertad! ist, daß diese beiden Momente - Defensive und nationale Enge - auch damit zu tun haben, daß es in diesem Kampf, in der Solidarität mit den Gefangenen, überhaupt keinen Konsens gibt. Die Versuche, einen gemeinsamen Konsens herzustellen, sind letztendlich gar nicht weitreichend genug gewesen, sie waren viel zu eng am unmittelbaren "Jetzt sofort!" orientiert. So konnte nicht langfristig überlegt werden. Das kann Libertad! auch nicht ersetzen, aber diese Initiative kann vielleicht ein Strang sein, in dem das tatsächlich über die Tagesaktualität, unmittelbar was machen zu müssen, hinausgeht. Die Lage der politischen Gefangenen in Deutschland ist für uns nur ein Ausgangspunkt. Zugespitzt: Wir hätten die Initiative auch begonnen, wenn alle Gefangenen aus RAF und Widerstand 1993 herausgekommen wären.

Die Frage der Menschenrechte

Aber alle Versuche einer Mobilisierung zu den und mit den Gefangenen, und so auch Libertad!, müssen sehr realistisch von einer Ausgangsbedingung ausgehen: der Aufbau sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene muß berücksichtigen, daß weitgehend jegliche demokratische Öffentlichkeit, die nicht die unmittelbare Beseitigung revolutionärer Politik zum Ziel hatte, weggebrochen ist. Der Kampf gegen repressive Entwicklungen und Menschenrechtsverletzungen muß deshalb unmittelbar auch aus den radikalen und revolutionären Ansätzen selbst entwickelt werden.

Es gibt keine anderen gesellschaftlichen Kräfte, die einfach mobilisiert werden können. Der Zerfallsprozess ist auch bei sogenannten Linksliberalen oder Radikaldemokraten weit fortgeschritten. Die Fragen nach dem Aufbau von Aktionen und Aktivitäten zu Menschenrechtsfragen hängt von uns ab, muß von den radikalen Kräften von unten selbst angepackt werden. Das kann nicht ein Spezialgebiet von Menschenrechtsgruppen sein, sondern es muß in einer Vorstellung vom Aufbau einer Bewegung von Unten, von Basisbewegung, von revolutionärer Bewegung integraler Bestandteil sein.

Libertad! sieht in der Entwicklung in der BRD in den letzten fünf bis zehn Jahren sehr deutlich, daß dieser politische Bereich, der vielleicht in den 70er Jahren noch sehr aktiv war, völlig weggebrochen ist. Heute haben wir es mit Einzelnen zu tun, die aus radikaldemokratischen Gruppen oder Spektren kommen. Mit Ihnen zusammen werden wir etwas Neues schaffen.

Libertad behauptet nicht Kristallisationspunkt einer neuen revolutionären Linken zu sein (was, wenn es der Anspruch wäre, einem politischen Selbstmord gleichkommen würde), hofft aber zugleich durch die eigene Arbeit und Mobilisierung Beiträge für den notwendigen Aufbauprozeß einer zukünftigen radikalen Bewegung leisten zu können.

Diesen Aspekt sehen wir auch in der Perspektive einer internationalen Vernetzung.

Dies sind die wesentlichen Ausgangsbedingungen - und die Überlegungen, die für uns eine Rolle gespielt haben, über die allgemeine Notwendigkeit hinaus, mit allen politischen Gefangenen aus Klassen- und Befreiungskämpfen solidarisch zu sein - und eine internationale Kampagne anzustreben.

3. Wir reden keiner Resignation das Wort

Wir reden keiner Resignation das Wort

Auf internationaler Ebene ist der Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems festzustellen. Dieses historische Ereignis setzt grundsätzlich andere Ausgangsbedingungen für unseren Kampf. Ganz unabhängig davon, inwieweit es einen Bezug auf die staatssozialistischen Bürokratien Osteuropas gegeben hat. Die bipolare Machtkonstellation ist unwiderruflich vorbei. Mehr denn je setzt das Kapital auf globale Expansion. Eine "Neue Weltordnung" ist ausgerufen worden: westliche Demokratie und Menschenrechte auf den alten Bajonetten der Macht. Alle Versuche revolutionärer Emanzipation müssen von dieser Bedingung ausgehen. Es ist eine Situation der großen politischen Umbrüche und der Akkumulation der Auswirkungen des ungebrochenen kapitalistischen Systems. Die Befreiungskämpfe, die aus dem Aufbruch und in dem Kräfteverhältnis Ende der sechziger Jahre, Anfang der siebziger Jahre entstanden, sind davon substantiell berührt.

In der Bundesrepublik sind wir mit einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung nach rechts konfrontiert. Das faschistische Potential wächst. Das ist nicht nur eine deutsche Spezialität. Die Tendenz ist überall in Westeuropa unübersehbar: Die Festung Europa schottet sich ab - gegen die Migrationsbewegungen aus den vom westeuropäischen Imperialismus ausgebeuteten Ländern.

Gegen diese Realität fehlt nahezu jeglicher Widerstand. Wir kennzeichnen die Situation auf unserer Seite, auf der Seite der radikalen und emanzipatorischen Linken mit der Einschätzung, daß es eine Gegenmacht nicht gibt. Libertad! geht von der Tatsache des weitgehenden Zerfalls aller politischen Organismen aus, die die Entwicklung radikaler und revolutionärer Politik in den Deutschland in den letzten 20 Jahren maßgeblich prägte - von RAF bis zu den ML-Gruppen, von den antiimperialistischen bis zu sozialrevolutionären Gruppen. Alles, was es an Ansätzen, an Organisationen, an Bewegungen gegeben hat, ist im Kampf an Grenzen gestoßen. Und es sind nicht nur die Grenzen, die die gesamtgesellschaftliche Entwicklung uns setzte, sondern es betrifft ebenso den inneren Prozeß der kämpfenden Gruppen selbst. Kein organisatorischer Ansatz war in der Lage eine adäquate Antwort auf die neuen Herausforderungen zu geben und sie begrifflich für die Herausbildung einer neuen Fundamentalopposition und einer Politik der sozialen Umwälzung der Machtverhältnisse zu entwickeln. Wir reden von uns.

Für uns ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende. Es gibt ein reichhaltiges Erfahrungspotential aus den Kämpfen der letzten 20 Jahre. Das liegt brach. isher wurde es in keiner Weise organisatorisch gefaßt und darin produktiv gewendet. Die Erfahrung ist nur in Einzelnen präsent, als Erinnerung, als Wissen. Wir sehen die absolute Notwendigkeit diese Erfahrungen wieder wirksam zu machen. Wir reden keinen schnellen Hoffnungen das Wort. Unsere Vorstellung und Einschätzung der heutigen Situation ist ohne Illusionen. Auch Libertad! wird das nicht verändern. Wir behaupten nicht Kristallisationspunkt einer neuen revolutionären Linken zu sein.

In Deutschland sind nicht nur die revolutionären Genossinnen und Genossen aus der RAF in den Gefängnissen. Die politischen Gefangenen kommen mehr und mehr aus anderen Bewegungen, als aus denen der vergangenen 10 oder 20 Jahre. Es sind die Gefangenen aus antifaschistischen Aktionen, es sind die Genossinnen und Genossen aus revolutionären Organisationen anderer Länder: kurdische, palästinensische oder irische Gefangene und sich selbst organisierende MigrantInnen. Diese Auseinandersetzungen und Kämpfe werden zunehmen. Die weltweite Unterdrückung hat hier ihre Rückwirkung. Schon jetzt gibt es in unserem Land mehr ausländische als deutsche politische Gefangene.

Die eigene Haltung ist das Entscheidende

Die Tendenz des Zerfalls berührt uns alle. Sie geht bis zur letzten Entwicklung: Der Bruch im politischen Kollektiv RAF, die Spaltung der revolutionären Gefangenen aus der Guerilla untereinander und im Verhältnis zum bewaffneten Kommando.

Wir verfallen darüber nicht in einen Katzenjammer. Es ist ein Schlag, aber es ist auch keine Besonderheit der revolutionären Linken in Deutschland. Das ist uns wichtig festuzhalten. Nahezu überall gibt es ähnliche Tendenzen. Ob in der offenen Spaltung oder in anderen Formen. Es ist ein Ausdruck dafür, die Situation insgesamt nicht produktiv wenden zu können - nicht nur in unserem Land.

Eine produktive Auflösung der Probleme und Fragestellungen die sich aus den Umbrüchen Mitte und Ende der achtziger Jahre stellen, ist in den wenigsten Fällen gelungen. Im Gegenteil. Die kämpfenden Organisationen, Gruppen und ihre militanten Kader sind von dem Zerstörungsprozeß emanzipatorischer Politik eingeholt worden. Die Auflösung von substantiellen antagonistischen Inhalten und Kriterien lief überall. Wir müssen es offen und unumwunden feststellen: Es gibt die Unfähigkeit die veränderte politische und soziale Situation in einem neuen Kampfprozeß zu fassen, ohne die einmal erkämpften Kriterien dabei über Bord zu werfen.

Die Versäumnisse müssen im Verhältnis zu den neu zu bewältigenden Herausforderungen analysiert und ausgewertet werden. Die Initiative kann diesen Prozeß nicht organisieren, aber bestimmte Kriterien werden in ihn einfließen. Das bedeutet z.B. auch, mit der Individualisierung internationalistischer Kontakte zu brechen.

Unsere Entscheidung für diese Initiative trafen wir vor dem Bruch zwischen der Mehrheit der Gefangenen aus der RAF und den Genossinnen und Genossen der bewaffneten Kommandos. Natürlich diskutierten wir, welchen Einfluß das auf unsere Initiative hat. Das Entscheidende ist für uns die eigene Haltung. Sonst endet unsere Politik in einem scheinbaren Für und Wider. Für Libertad! haben wir im Aufruf Kriterien genannt: etwa die Definition des Begriffes politischer Gefangener: "Es sind die Gefangenen aus den Widerstands-, Befreiungs- und Basisprozessen in aller Welt, es sind die Gefangenen aus den Klassenkämpfen für die Abschaffung der Klassengesellschaft. Und natürlich kann eine internationale Kampagne für die Freiheit der Gefangenen nur greifen, wenn sie auch das Ziel hat, das Unterdrückungs- und Knastsystem insgesamt zu brechen".

Libertad! sortiert Solidarität nicht nach Partei- oder Gruppenzugehörigkeit.

Die objektive Situation der Gefangenschaft verlangt überall ganz direkte Lösungen. Immer noch und mehr denn je wird gefoltert. Sei es blutig oder weiß, wie in den deutschen Knästen. Es gibt den Widerspruch zwischen den perspektivischen, politischen Vorstellungen und der unmittelbaren Notwendigkeit gemeinsam zu handeln. Wir werden das nicht auflösen können. Wir erhoffen uns aber, daß die Initiatve langfristig einen Rahmen schafft, in dem unterschiedliche Interessen und Notwendigkeiten nicht als Gegensätze gedacht werden.

Die Münchner Erklärung ist ein erstes kleines Dokument der Gemeinsamkeit in der Frage der Freiheit für die politischen Gefangenen. Aber die Bedeutung dieser Erklärung hat sicherlich in den verschiedenen Ländern unterschiedliches Gewicht. Wir haben da keine Illusionen über schnelle Entwicklungen. In El Salvador ist die politische Situation eine gänzlich andere, als wie für die MLN/Puerto Rico in den USA. Man darf nicht auf eine schematische Gleichzeitigkeit der Kampagne hoffen. Initiativen mit dieser Bestimmung haben ihre eigene Zeitrechnung. In El Salvador haben wir mit Vertretern einer Organisation geredet, die diese Erklärung bzw. ihre Beteiligung daran verabschiedet hat. Aber gerade in der aktuellen Situation in El Salvador hat für sie die Initiative nicht so eine unmittelbare Bedeutung.

Natürlich haben uns einige gefragt, wie Libertad! in das "Heute" paßt. Geht es nicht um andere, wichtigere und unmittelbarere Aufgaben? Diese Fragen werden sich auch Genossinnen und Genossen in den anderen Ländern stellen. Und kommen zum Ergebnis, daß es richtig ist, eine solche langfristige Kampagne anzufangen. Diese Entscheidung haben wir in den letzten anderthalb Jahren getroffen. Wir haben natürlich auch gezögert, gerade auch wegen unserer Analyse des Zustands der Linken. Diese Entscheidung ist keine Frage von momentanen Gefühlen - trotz all dem gegenwärtigen Pessimismus.

Alle Gruppen müssen sich den neuen Herausforderungen stellen. Da wird ziemlich schnell deutlich, daß in keinem Land die Fragen substantiell andere sind. In jedem Land gibt es subjektive und organisatorische Zerfallsprozesse. Das macht die Verständigung um so dringender. Libertad! ist kein Ersatz für eine neue "Internationale", aber bewußt ein Strang für eine internationale Basisbewegung. Darin geht es auch um die Wiedereroberung von Kriterien, die verloren wurden: Die Menschenrechte werden nur revolutionär erkämpft - jede Hoffnung auf "Lösungen" von oben sind vergeblich ohne tatsächlichen revolutionären Prozeß von unten.

Gegen die vorschnelle Agitation

Libertad! kann keine kurzfristige Kampagne sein. Das wäre Betrug an den selbstformulierten Zielen und Absichten. Deshalb wollen wir niemanden dringend agitieren. Wir brauchen einen Aufbau mit Zwischenschritten und einem organisatorischen Prozeß, der tatsächlich wächst. Es muß eine Kraft darin entstehen, die es ohne das Bedürfnis nach schnellen Erfolgen aushält, eine Initiative verantwortlich zu führen. Auch wenn es vielleicht erst in ein paar Jahren Ergebnisse geben wird. Für uns ist wichtig, daß sich Gruppen aus ihrem eigenständigen Arbeitsprozeß in die Initiative einbringen. Die Teilnahme an Libertad! ist unmittelbar mit der politischen Forderung an die jeweilige Gruppe, den Diskussionskreis oder Zusammenhang verknüpft, eigenständig für Wege aus der Krise der revolutionären Linken zu kämpfen. Das Kriterium gilt auch für uns selbst.

Genausowenig kann es um eine Wiederholung der verschiedensten Initiativen zur Zusammenlegung der politischen Gefangenen in der Bundesrepublik gehen: Die Initiative steht in erster Linie nicht nur im Verhältnis zu den Gefangenen hier. Das ist kein taktischer Kniff von uns, nach dem Motto: Auf ein anderes Pferd zu setzen, um zu unseren gefangenen Genossinnen und Genossen was zu erreichen. Es soll keine Illusionen darüber geben: Libertad! ist eine Kampagne für die Freiheit der Gefangenen weltweit.

Am Anfang können wir uns eine politische Materialität z.B. in Form von gemeinsamen Erklärungen, Aktionstagen von Gruppen aus einzelnen Ländern vorstellen. Das wäre schon ein riesiger Schritt in der Verständigung.

In diesem Sinne sind unsere organisatorischen Vorschläge auch mehr ein Gerüst, an dem der notwendige Prozeß initiiert werden muß. Aus diffusen Strukturen - und das wären für uns vorschnelle bundesweite Treffen ohne Verständigung über den jeweiligen Ausgangspunkt und Verbindlichkeit zu treffender Entscheidungen für die anwesenden Gruppen oder Einzelpersonen - kann kein wirklich langfristiger Prozeß aufgebaut werden.

Wir sehen Libertad! auch in keinster Weise als Konkurrenz zu anderen Initiativen oder Kampagnen. Jede Aktion zum Schutz unserer gefangenen Genossinnen und Genossen ist mehr als notwendig. Aber notwendigerweise ist dies nicht gleichbedeutend mit Libertad!. Unsere Initiative kann und soll kein Auffangbecken für andere Aktivitäten sein. Weder zum Schutz der Gefangenen, noch gegen die Faschisten. Diesen Kampf müssen wir allerorts führen.

4. Die Struktur von Libertad!

Die Struktur von Libertad!

Alle kennen die Erfahrung kurzfristiger Initiativen und Kampagnen. Libertad! braucht langen Atem und erste internationale Ergebnisse werden möglicherweise erst in einigen Jahren zu erreichen sein. Entscheident ist, daß sich die verschiedenen Gruppen, die sich beteiligen wollen, in dieser Initiative organisieren. Dafür haben wir Kriterien diskutiert, die Grundlage einer verbindlichen Struktur sein sollen:

* Transparenz von politischen Diskussion, Kritik und Entscheidung;

* Eindeutige Festlegung von Zuständigkeit und Verantwortlichkeiten;

* So wenig zentralen Apparat wie möglich, Dezentralisierung der Arbeit;

* Es gibt unterschiedliche Orte und Zusammenhänge der Diskussion über die Frage politischer Gefangener, internationale Vernetzung und Menschenrechte. Libertad! berücksichtigt das: Es geht nicht darum, alle notwenigen Strukturen und Mechanismen neu aufzubauen, sondern die vorhandenen einzubeziehen.

* Finanziell trägt sich Libertad! selber. Neben Spenden auch durch einen Mitgliedsbeitrag der beteiligten Gruppen.

* Die zu schaffenden Strukturen müssen praxisorientiert arbeiten. Wir wollen keine falschen Instituationalisierungen, sondern eine dynamische Struktur, die mit den Erfordernissen und Aufgaben der Arbeit wachsen kann.

Regionale und lokale Treffen

Regionale Strukturen sind notwendig, damit langfristig möglichst viele, auch nur lokal verankerte Gruppen in der Initiative mitarbeiten können. Die Bildung spezieller lokaler "Libertad!-Gruppen" ist gegenwärtig kein Ziel. Es geht nicht darum, daß Gruppen ihre bisherige Arbeit aufgeben, diese ist vielmehr in unserem Verständnis Basis und Rückhalt für Libertad!.

Gruppen, die Interesse an einer Zusammen- und Mitarbeit haben, können regionale oder lokale Treffen organisieren, an denen jemand vom Initiativkreis Libertad! teilnehmen kann. In kleinerem Kreis wird sich leichter über Fragen und Vorstellungen diskutieren lassen. Interessierte Gruppen, die sich noch nicht für eine Mitarbeit entscheiden können, sollen dies dem Initiativkreis mitteilen. Sie werden dann regelmäßig über den aktuellen Stand informiert und können umgekehrt auch den Initiativkreis über ihre Arbeit und Diskussionen unterrichten.

Bildung von Arbeitsgruppen

Ein zweites, wesentliches Element der Arbeitsstruktur sind bundesweite Arbeitsgruppen. Die Ergebnisse und Vorschläge aus den Arbeitsgruppen werden in Berichten festgehalten, die dann wiederum regional und auch bundesweit diskutiert, kritisiert und verbessert werden können. Dazu dienen auch vierteljährliche gemeinsame Treffen aller Arbeitsgruppen.

Folgende Arbeitsgruppen wurden eingerichtet:

1. Internationale Kontakte (z.B. Organisierung der internationalen Information und Diskussion)

2. Gefangene (z.B. Zusammenfassung ihrer Situation und Forderungen, Ermöglichung der Teilnahme an der Diskussion)

3. Öffentlichkeit (z.B. Informationsrundbrief erstellen)

4. Bündnis und Aktionen (z.B. Vorschläge zu Aktionen und Verbindungen zu anderen Gruppen und Organisationen)

5. Arbeitskonferenz (der Initiativkreis wird einen Vorschlag für die Durchführung einer solchen Konferenz erarbeiten)

Einrichtung einer jährlichen Vollversammlung/ Arbeitskonferenz

Was wir anfangs über die Wichtigkeit von Möglichkeit der Kritik, Transparenz und nachvollziehbarer Entscheidungsfindung gesagt haben, soll nach unserer Vorstellung eine bundesweite Arbeitskonferenz, wir können sie auch Vollversammlung nennen, gewährleisten. Diese Arbeitskonferenz hat die Authorität, verbindliche Entscheidungen für einen festgelegten Zeitraum (bis zur nächsten Konferenz) zu treffen. Diese Vollversammlung diskutiert und entscheidet über die Arbeitsstrukturen von Libertad!, über Fragen der internationalen Kontakte usw. Sie benennt und authorisiert auch ein verantwortliches Gremium, das in ihrem Namen zu sprechen befugt ist und legt den Zeitraum seiner Arbeit fest. Dieses Gremium hat u.a. die Aufgabe, die Koordination der Arbeitsgruppen und die Transparenz der eigenen Entscheidungen zu gewährleisten. Es besteht Berichtspflicht.

Bis zur Durchführung der ersten Arbeitskonferenz ist der Initiativkreis als Interimslösung dieses Gremium.

Praktische Schritte

Um den konkreten internationalen Kampftag zu bestimmen, bedarf es der internationalen Diskussion. Die Festlegung eines solchen Tages kann nur das Ergebnis einer international geführten Diskussion und Entscheidung sein, die z.B. auf einem weiteren internationalen Kongreß fallen kann.

Bis zur Entscheidung eines Internationalen Kampftages für die Freiheit der politischen Gefangenen müssen Zwischenschritte gemacht werden. So ist es möglich, sich an Kampftagen, die bisher schon aus anderen Ländern bekannt sind, zu beteiligen. Etwa dem 17. April, dem Tag der palästinensischen Gefangenen.

Ein Manifest, für das von Libertad! als dem deutschen Initiativkreis ein Vorschlag erarbeitet werden kann, kann ein weiterer Zwischenschritt sein. Eine solche Erklärung, übersetzt in verschiedene Sprachen, vereinfacht und schafft die Möglichkeit der internationalen Diskussion.

5. Fragen an Libertad!

Die Diskussion in und um Libertad! und dem internationalen Kampftag fängt erst an, so wie Libertad! am Anfang einer Entwicklung steht. Das Profil ist bis jetzt nur in einigen Grundpfeilern festgelegt. Widersprüche und Unklarheiten werden sich erst im Laufe des praktischen Prozesses von Libertad! lösen lassen.

Wir antworten auf einige Fragen, die uns bei dem Vorstellungstreffen in Köln, in anderen Gesprächen und von der Zeitung "Politische Berichte" gestellt wurden.

Es gibt bereits einen internationalen Tag der Gefangenen am 17. April, der von der Intifada im Zusammenhang mit dem berüchtigten Lager Ansar III ausgerufen wurde. Es finden zu diesem Tag auch in der BRD Aktionen statt. Wie seht ihr euch im Verhältnis dazu - sowohl international als auch auf die BRD bezogen?

Als wir mit den Genossinnen und Genossen aus Uruguay, der Türkei, den Philippinen usw in den München während des Gegenkongresses zusammensaßen, diskutierten wir auch die verschiedensten möglichen Termine für so einen internationalen Tag. Genannt wurden z.B. der Tag, an dem Nelson Mandela frei kam und mit tausende andere in Südafrika, der 14. März, weil dort die gefangenen Tupamaros frei kamen, der 10. Dezember als Tag der Verabschiedung der UNO-Menschenrechtsdeklaration, der 18. Oktober als Synonym für Folter und Mord im Knast... und so waren noch einige andere Daten im Gespräch.

Wir stellten bald fest, daß wir in diesem Kreis keinen Termin festlegen können. Erst müssen überhaupt in den einzelnen Ländern und Bewegungen Initiativen entstehen und diese Idee aufgreifen.

Einige Anhaltspunkte konnten wir aber formulieren: es sollte, wenn nicht willkürlich irgendein Datum festgelegt wird, ein Tag sein, der die Befreiung von vielen Gefangenen symbolisiert.

Wir hören zum ersten Mal, daß der 17. April bereits ein internationaler Tag für die Gefangenen wäre. Es ist der Tag der palästinensischen Gefangenen. Wir haben uns gefreut, daß in Schleswig-Holstein dieser Tag aufgegriffen und eine Verbindung zu den Gefangenen in Deutschland hergestellt wurde. Auch das drückt ja das Bedürfnis aus, so einen gemeinsamen internationalen Tag zu schaffen.

Wie seht ihr eure Erfolgsaussichten? Es heißt in eurem Aufruf ja, "konnten und können ihre Gefangenen befreien"; worauf bezieht sich das "konnten"?

Es ist schwierig zu Beginn einer Initiative von ihren Erfolgsaussichten zu sprechen. Wir machen erste Schritte. Und wann dieses internationale Netzwerk, die verschiedenen Aktionen und Mobilisierungen eine Kraft entfalten, um Regierungen verschiedenster Länder zur Freilassung politischer Gefangener zu zwingen, läßt sich jetzt noch gar nicht sagen. Wir sind uns allerdings sicher, daß überhaupt erst in der Zusammenarbeit von Bewegungen und revolutionären Kräften verschiedenster Länder, die Voraussetzungen geschaffen werden können, international und gemeinsam mit den Gefangenen um ihre Freiheit zu kämpfen.

Mißachtet ihr nicht diejenigen, die Menschenrechtsarbeit machen, sich aber nicht als RevolutionärInnen begreifen, wenn ihr sagt, "die Menschenrechte werden nur revolutionär erkämpft"?

Dieser Satz ist programmatisch für Libertad! Er bedeutet, daß wir von einer Klassengesellschaft ausgehen. Die Verwirklichung der Menschenrechte steht in einem unüberwindbaren Widerspruch zu den Machtverhältnissen, zu Staat und Kapital. Es ist diesem System immanent, daß die Menschenrechte verletzt werden. Und daher werden Menschenrechtsgruppen immer wieder an diese Grenze stoßen.

Mit dieser Aussage geht es uns nicht darum, ihre Arbeit nicht ernst zu nehmen, im Gegenteil, sie ist äußerst notwendig.

Viele Menschenrechtsgruppen vor allem in den Trikontländern, sind die Machtverhältnisse in ihren Ländern so sehr bewußt, daß sie von der Notwendigkeit der Veränderung des ganzen Systems und des Kampfes darum ausgehen. Aus diesem Verständnis heraus arbeiten sie mit revolutionären Kräften zusammen und haben sich im Laufe ihrer Arbeit mehr und mehr radikalisiert. Uns geht es um eine solche Zusammenarbeit auch hier im Land.

Das Problem in den Metropolen ist bekannt - wenn sich Menschenrechtsgruppen weigern, die realen Machtverhältnisse in Frage zu stellen, hat das oft einen politischen Grund in der Bestimmung ihrer Arbeit. Ihr Ziel ist nicht die Veränderung oder Umwälzung der Klassenverhältnisse. Oft sind diese Gruppen die letzten Verfechter eines idealen bürgerlich-demokratischen Rechtstaates, den es in Wirklichkeit nie gab und der in den ökonomischen und sozialen Verhältnisse keine Grundlage hat.

Die vereinfachte Unterscheidung zwischen revolutionär und reformistisch stellen wir ohnehin in Frage. Die Zusammenarbeit ist immer konkret; ideologische Abgrenzungen lehnen wir ab. Gerade bei der Frage der Gefangenen gibt es dazu viel Erfahrung.

Versteht sich Libertad! als ein "radikaleres amnesty international" unter Einschluß von Gefangenen aus bewaffnet und militant kämpfenden Gruppen und Organisationen?

Nein, Libertad! setzt sich nicht in Verhältnis zu amnesty und ähnlichen Organisationen. Wir achten ihre Arbeit, aber Libertad! hat einen anderen Ausgangspunkt. Libertad! versteht sich als Teil einer weltweiten Befreiungsbewegung. In dieser Hinsicht machen wir keine Lobbyarbeit. Uns geht es um das langfristige Ziel einer internationalen Basisbewegung für die Freiheit aller politischen Gefangenen. Diesen Kampf können wir nicht abtrennen vom allgemeinen Kampf gegen die internationalen kapitalistischen Zustände.

Neben diesem Ziel unterscheidet uns natürlich von amnesty international, daß wir das staatliche Gewaltmonopol nicht anerkennen. Die Unterscheidung in gewaltlos kämpfende und militante Gefangenen machen wir nicht.

Was meint ihr mit "internationales Machthaberkartell"? Geht es dabei um die UNO oder eher um Mächte, die die UNO beherrschen und instrumentalisieren? Ist dieses internationale Machthaberkartell ja nicht nur auf dem Vormarsch, sondern löst auch Widerstand aus. Ist eure Initiative auch ein Versuch, den grausamen und unmenschlichen Reaktionen der Herrschenden auf Befreiungsbewegungen entgegenzutreten?

Die Machtverschiebung zugunsten der führenden imperialistischen Staaten und Blöcke, wie die USA, Westeuropa und Japan, auch in den internationalen Gremien wie die UNO, wird keine dauerhafte Erscheinung sein. Die Widersprüche brechen ungehemmter auf und Widerstand gegen die "Neue Weltordnung" wird an vielen Orten geleistet. Eine internationale Kampagne für die Freiheit der politischen Gefangenen ist natürlich auch Schutz und Selbsthilfe gegen die mörderische Politik der Herrschenden, eine Verteidigung des Kampfes um gesellschaftliche Befreiung in allen Ländern.

In welchem Verhältnis steht der Internationale Kampftag der politischen Gefangenen zu der notwendigen internationalen Diskussion radikaler Kräfte?

Wir denken, daß der internationale Kampftag ein Rahmen für internationale Diskussionen sein kann. Ausgangspunkt ist die Initiative, da geht es also um eine konkrete Praxis und daran wird die gemeinsame Bestimmung diskutiert, die Einschätzung der Situation, Linien usw.

Die Betonung liegt dabei auf gemeinsam im Gegensatz zu den vielen individuellen internationalen Diskussionen und Kontakten, in denen, jedenfalls von deutscher Seite aus, meistens Meinungen und Ansichten von Einzelpersonen vermittelt werden. Es geht um eine organisierte, reflektierte und überprüfbare Diskussion mit dem von uns formulierten Ziel: dem internationalen Kampftag. Das wird sicherlich noch mehr Fragen beinhalten als die, wie sich der internationale Kampftag praktisch entwickeln kann.

In der BRD definieren die Herrschenden die sonst verleugneten politischen Gefangenen durch Sonderverfahren, die entweder auf dem Verwaltungsweg, z.B. per Haftstatut oder gleich durch Spezialgesetze, z.B. §129a, Verteidigerausschluß etc, verfestigt sind. Wie stellt ihr euch zu diesen Sondergesetzen?

Es ist keine Frage, daß Libertad! für die Beseitigung aller antirevolutionärer Sondergesetze eintritt. Wir haben allerdings nicht die Illusion, daß Kampagnen, die für Abschaffung dieser oder jener Spezialgesetze eintreten an dem grundsätzlichen repressiven Charakter des herrschenden Kapitalismus etwas ändern. Es gibt sie in fast jedem Land, insbesondere dort, wo die Linke auch bewaffnet kämpft.

Mal vorgestellt, in der BRD könnte das ganze System der sog. "Anti-Terrorismus"-Gesetze beseitigt werden, dann wäre der Regierung ein wichtiges Unterdrückungsinstrument aus der Hand genommen. Allerdings schätzen wir die Situation nicht so ein, daß dies gegenwärtig möglich wäre. Gerade in Deutschland ist es so, daß durch die für diesen Staat konstitutive Verrechtlichung, und somit auch Verstaatlichung aller sozialen und politischen Konflikte, diese Sondergesetze kein Fremdkörper im Gesetzeswerk sind, der einfach herauszulösen wäre.

In welchem Verhältnis steht die Initiative Libertad! zu der aktuellen Situation der Gefangenen aus der RAF, der Solidarität mit ihnen und dem Kampf zur Veränderung ihrer Lage?

Libertad! ist nur ein Projekt. Es versteht sich als internationale Kampagne für die politischen Gefangenen weltweit. Daraus ergibt sich, daß sowohl die Zielsetzung, als auch der dafür notwendige Aufbau langfristig sein wird.

Libertad! kann die notwendigen tagtäglichen Initiativen zur Veränderung der Lage der Gefangenen aus der RAF weder ersetzen noch zusammenfassen, oder etwa ein Dach dafür sein. Jede Initiative hat ihre Berechtigung und es wird und muß sie auch weiterhin geben. Libertad! strebt an sich auch zu beteiligen, Verbindungen herzustellen - aber das geht nicht von heute auf morgen. Die von Libertad! geplanten "Zwischenschritte" werden sicherlich auch die Lage der politischen Gefangenen und die Forderung nach Veränderung einbeziehen.

Uns ist bewußt, daß gerade die Situation der Gefangenen aus der RAF, die seit langen Jahren im Knast sind, nach unmittelbaren Lösungen schreit. Dafür muß auch alles Menschenmögliche in Gang gesetzt werden. Keine dieser Initiativen steht im Widerspruch zu der Langfristigkeit von Libertad!.

Mit dem Zerfall des Realsozialismus und der Abrechnung, die die sogenannten Reformkräfte durchziehen, mehrt sich die Zahl der politischen Gefangenen aus dieser Richtung. Wo steht ihr gegenüber dieser Abrechnungspolitik?

Die Initiative Libertad! benutzt eine Definition von politischen Gefangenen, die sich aus den Zielen und der Praxis herleitet: Es sind die Gefangenen aus Widerstands-, Befreiungs- und Basisprozessen in aller Welt, es sind die Gefangenen aus den Klassenkämpfen für die Abschaffung der Klassengesellschaft. Da denken wir nicht in erster Linie an gefangene ehemalige realsozialistische Minister und Bürokraten oder Stasi-Kundschafter im Westen. Wir wehren uns allerdings gegen die Abrechungspolitik. Mittels der Justiz wird durch Kriminalisierung des staatssozialistischen Systems die politische Auseinandersetzung insgesamt angegriffen.

Wie kann Libertad! mit aktuellen gesellschaftlichen Prozessen verbunden werden? Wie kann Libertad! in Basisinitiativen verankert werden?

Vor der Frage nach einer Verankerung von Libertad! stellen wir uns die Fragen, welche Zielsetzung verfolgt die Initiative, welche Bestimmung hat sie, welche politische Arbeit ist dafür notwendig und wie organisiert und strukturiert sich Libertad!?

Daraus ergibt sich für uns die Frage nach Verankerung. Das heißt in der Entwicklung der eigenständigen Politik für das Ziel. Für uns ist diese Reihenfolge wichtig. Es ist oft ein Problem in der Solidarität mit den Gefangenen, sie entweder nur als Opfer staatlicher Vernichtung wahrzunehmen, oder in ihr allein die Verwirklichung revolutionärer Politik zu sehen. Die Entwicklung einer eigenen politische Praxis ist notwendig, in der auch Solidarität ihren Ort hat. Sonst erschöpft sie sich "Vermittlung", "Verankerung", "Mobilisierung". So entsteht keine eigenständige Kraft. Diesen Mechanismus zu durchbrechen, Konsequenzen aus den Erfahrungen zu ziehen - das verstehen wir darunter, wenn wir einleitend sagten, daß Libertad! dazu beitragen muß, in Bestimmung und konkreter Umsetzung den Zerfallsprozeß zu überwinden.

Die politischen Gefangenen sind in jedem Land Teil der gesellschaftlichen Realität. Die Kämpfe, aus denen die Gefangenen eingeknastet wurden, sind aus gesellschaftlichen, also Klassenkonflikten hervorgegangen. Sie haben ihren Grund in realen Antagonismen und diese sind international. Auch durch ihre Kämpfe in den Knästen sind die Gefangenen Teil der gesellschaftlichen Realität. Der Vernichtungswille des Staates gegen sie wirkt auf die ganze Gesellschaft.

Von dieser Tatsache gehen wir aus. Diese innergesellschaftliche wie auch internationale Realität wird mit Methoden wie der manipulierten Information und Hetze unterdrückt. Überall werden auch Angehörige der Gefangenen und von Solidaritätsgruppen mundtot gemacht, verfolgt und kriminalisiert. Der Versuch staatlicher Vernichtung macht die politischen Gefangenen nicht weniger zum Teil der gesellschaftlichen Realität, stellt aber an Libertad! auch die Aufgabe, die Negierung ihrer Existenz zu durchbrechen. Es geht dabei auch um ein Bewußtsein um historische Prozesse, um die Legitimität ihres Kampfes. Es geht dabei aber nicht nur darum eine Erinnerung wachzuhalten, sondern die mehr denn je existierende Aktualität des Befreiungskampfes deutlich zu machen. Das ist auch die Verbindung mit allen Basisinitiativen.

Steht der Zeitrahmen von Libertad! und die dafür notwendige Arbeitsstruktur nicht im Widerspruch zu der fehlenden Organisierung der deutschen Linken?

Ja, es ist wichtig, diesen Widerspruch klar vor Augen zu haben, zu benennen und auch die Gefahr, die darin liegt. Es könnte der Versuch gemacht werden, Libertad! als Ersatz für fehlende Organisierung zu nehmen.

Es ist oft ein Fehler, daß der Versuch unternommen wird, an einem Projekt alle Fragen und Probleme des Widerstandes zu lösen. Eine solche Herangehensweise wäre das politische Todesurteil für Libertad!.

Natürlich ist es sehr widersprüchlich, in einer Situation dieses Projekt zu beginnen, die von einem substantiellen Zerfallsprozess gekennzeichnet ist. Damit müssen wir umgehen. Libertad! kann die Lage aller, die sich in der Initiative engagieren, nicht aus diesem Zerfallsprozeß herauszuwuchten, aber in der aufzubauenden Struktur muß sie natürlich Konsequenzen daraus ziehen.


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