Solidarität ist unsere Waffe!

Donnerstag, 26.12.2024

Freiheit für alle politischen Gefangenen weltweit!

"Wir, die internationalen Organisationen, die sich in München getroffen haben, um am Kongreß '500 Jahre Kolonialismus und Widerstand' teilzunehmen, haben beschlossen, daß es notwendig ist, mit allen politischen, religiösen, humanitären, demokratischen, sozialen usw. Organisationen einen Dialog zu initiieren, mit dem Ziel, den 'Internationalen Tag der politischen Gefangenen' festzulegen und die Freiheit derselben zu fordern. Wir haben die Hoffnung, daß dieser Dialog schnell und wirkungsvoll geführt wird, und das wir kurzfristig zu definitiven Übereinkünften über diese Initiative kommen können."
München, 6.7.92 (Moviemento Liberation Nacional/Puerto Rico, National Democratic Front/Philippinen, FMLN/El Salvador, MLN-Tupamaros/Uruguay)

Die Idee, die Solidarität mit den Gefangenen weltweit an einem Tag zu manifestieren, ist nicht neu. Schon lange lebt sie in den Herzen und Hoffnungen von vielen - der Gefangenen selber, bei den Menschen aus Solidaritätsgruppen und immer wieder in Gesprächen der verschiedensten Bewegungen aller Kontinente. Die Hoffnung, in internationaler Verbundenheit und gemeinsamen Kämpfen die Freiheit der Gefangenen zu erstreiten, wurde nie aufgegeben.

Unsere Initiative für eine internationale Kampagne entstand auf dem Kongreß gegen den Weltwirtschaftgipfel 1992 in München. Dort faßten die Vertreterinnen und Vertreter der genannten Organisationen unsere gemeinsame Diskussion zusammen. Mit Genossinnen und Genossen aus Befreiungsbewegungen und Basisgruppen verschiedenster Länder nahmen wir uns vor diesen Versuch zu wagen. Damit fangen wir jetzt an und geben die Gründung von Libertad!, dem deutschen Initiativkreis bekannt.

Die Menschenrechte werden nur revolutionär erkämpft. Keine Regierung, kein Staat, keine internationale Institution schenken sie uns. Wer da noch Illusionen hatte, wer vielleicht glaubte nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Staatssozialismus würden die imperialistischen Eliten zur Einsicht kommen, wird täglich eines Besseren belehrt. Im Namen der Menschenrechte werden Kriege zur Durchsetzung der alten "neuen Weltordnung" geführt. Hunger, Elend und Vertreibung sind der Alltag von immer mehr Menschen. Die Wahrzeichen des nunmehr weltweit herrschenden Kapitalismus sind Rassismus und sexuelle Unterdrückung, Entmündigung und Ausbeutung. Die UNO schwingt sich auf zur zentralen Institution imperialistischer Politik und begeht täglich Verbrechen an den Menschen und Völkern.

Westeuropa, der alte Kontinent der Conquistadoren, erfährt seine historische Wiedergeburt als Zentrum kapitalistischer Macht und imperialer Größe. Was der Ost-West-Gegensatz 40 Jahre in Schach hielt, kann jetzt wieder ungehemmt schalten und walten. Großdeutschland ist Brandstifter - hier und immer öfter in der Welt. Deutsches Geld und Vernichtungstechniken - von den Isolationstrakten bis zum Giftgas in Halabja - haben seit Jahrzehnten einen guten Ruf bei allen Diktatoren und Militärregimes. Jetzt geht die Bundeswehr selbst zur Sache: "Germans to the front".

Die Internationale erkämpft des Menschen Recht

1917 löste in allen Winkeln der Erde bei den Unterdrückten eine Welle der Hoffnungen aus. Die Oktoberrevolution siegte. Ein neuer Anfang in der Geschichte der Menschheit schien gemacht. Diese Hoffnung begleitete alle Befreiungskämpfe bis in die jüngste Vergangenheit. Nicht erst heute, aber heute erst recht müssen wir nach den vielen verschiedenen beschrittenen Wegen und ihren Sackgassen von einer grundsätzlichen Krise dieser Zuversicht sprechen. Die Niederlagen, die emanzipatorische Politik in vielen Ländern erlitten hat, sind unsere gemeinsamen Niederlagen und nur zusammen können wir sie bewältigen. Wir haben historische Erfahrungen. Aber auch erst jetzt, wo die ganze Welt faktisch kapitalistisch ist, kann sich emanzipatorische Politik wieder freier entfalten: Das Ende des staatlichen Sozialismus hat nicht das "Ende der Geschichte" eingeläutet, sondern nur das Ende des Kapitalismus.

Wir gehören zu denen, die auf der Suche sind. Wir können nicht behaupten, daß uns sehr viel deutlich vor Augen ist; aber grundsätzlich sind wir uns einig: nichts darf so weitergehen wie bisher. Die von den Herrschenden und Profiteuren dieses Systems großangelegte, umfassende Zerstörung muß beendet werden. Dazu bedarf es unserer Auffassung nach eines gesellschaftlichen Widerstands und einer revolutionären Kraft.
Das ist unser Ausgangspunkt.

Das internationale Machthaberkartell ist auf dem Vormarsch. Das Prinzip der Profitmaximierung gilt scheinbar grenzenlos und ungehemmt. Allein in diesem Land wurden in den letzten Jahren Tatsachen geschaffen, vor denen wir nicht die Augen verschließen können. Die Armut ist nicht nur die tv-gerechte Aufbereitung der Probleme anderer Länder. Der Kapitalismus bleibt eine funkelnde Glitzerwelt, und doch wird der Verlust sozialer Vorzüge schonungslos im breitem Ausmaß sichtbar. Verschärfen wird sich faschistische, rassistische und sexistische Gewalt - verschärfen wird sich der Existenzkampf.

Für Frauen wird es jeden Tag dringender, sich in dieser explosiven Gesellschaft mit allen Mitteln ihrer Haut zu erwehren. Und über zwanzig von Faschisten ermordete Menschen allein in diesem Jahr. Die alltäglichen rassistischen Übergriffe, denen ausländische und behinderte Menschen ausgesetzt sind, lassen sich nicht mehr zählen.

Auch diese Entwicklung macht es zwingender nach gemeinsamen Wegen zu suchen. Ein neues Projekt der Befreiung muß erst geschaffen werden. Aus diesen Zuständen und gegen sie!

Viele Ideen und Vorstellungen, aber auch Diskussionen an Widersprüchen, anderen Sichtweisen und Erfahrungen werden dafür die Grundlage bilden. Noch ist kein Wendepunkt in Sicht - während die Irrfahrt der Weltpolitik der Herrschenden andauert, und wir ihnen Schläge versetzen müssen.

Der internationale Kampftag

Die Initiative für einen internationalen Kampftag weist alle Hoffnungen auf "Lösungen von oben" zurück. Gerade auch in unserem Land ist das Vertrauen auf die eigene Kraft viel zu oft der Hoffnung auf staatliche Vernunft gewichen. Das hat die letzten Jahre geprägt - und das längst nicht nur in der Frage der Gefangenen. Wir müssen die Sache selber in die Hand nehmen, wie die Menschen ihre Angelegenheiten immer und überall selber in die Hand nehmen müssen. Sonst wird es etwas gegen uns und nicht für uns. Dazu müssen wir dieses Verhältnis, da wo es verloren gegangen ist, zurückerobern. Darum geht es dieser Initiative. Sie wäre sonst nicht Teil eines Emanzipations- und Widerstandsprozesses. Sie wäre bloß ein Aufguß ausgelaugter Konzepte und politischer Schliche, mit denen die Hoffnungen auf Verbesserung unserer Lage betrogen werden.

Die Initiative kann aber eine internationale Bewegung werden, eine aus den Kämpfen für menschenwürdige Bedingungen und Solidarität mit den Gefangenen in allen Ländern gewachsene Einheit. Weltweit werden Menschen verfolgt, getötet, gefoltert und eingesperrt, die um gesellschaftliche Befreiung kämpfen. Nicht selten konnte ihr Widerstand in den Knästen auch die Bewegungen "draußen" ermutigen. Und nur im Kampf stark gewordene Widerstandsbewegungen konnten und können ihre Gefangenen befreien!

Einen internationalen Kampftag kann man nicht einfach ausrufen. Das ist kein Plan, im Hinterzimmer ausbaldowert, sondern eine Bewegung, die entstehen muß. Sie kann nur wachsen im Bewußtsein von vielen Menschen rings um die Welt. Einen Tag - und dann welchen? - festzulegen, können wir nur denken, in der gemeinsamen Anstrengung vieler Menschen und Gruppen, vieler Aktionen, Vorstöße und Anläufe. In diesem Land und mit den Komitees für den Internationalen Tag, die sich in anderen Ländern bilden werden. Die Illusion schneller Erfolge und kurzfristiger Kampagnen haben wir nicht.

Und natürlich geht es nicht nur um einen Tag, sondern um alle Tage des Streites, des Protestes, des Widerstands und der Solidarität mit den eingeknasteten Genossinnen und Genossen. Egal wo, egal aus welchen Kämpfen und Organisationen. Es soll ein Kampftag sein, an dem die Forderung so breit und offensiv wie möglich weltweit öffentlich präsent ist. Die Protest- und Kampfformen sollen so vielfältig und unterschiedlich sein wie die Menschen, die ihn gestalten. Das wird letztlich den Charakter dieses Tages bestimmen - fern ab aller Unterschiede über den Weg, wie die Freiheit der Gefangenen oder eine andere Gesellschaft zu erkämpfen ist. An einem Tag wird sich das sowieso nicht entscheiden - auch wenn er jährlich begangen wird.

"Es gibt keine politischen Gefangenen in Deutschland"

Das war und ist Regierungsdirektive seit 20 Jahren gegen die Gefangenen aus Guerilla und Widerstandsgruppen. Die Kriminalisierung und Entpolitisierung von Fundamentalopposition ist für die Bundesrepublik konstitutiv. Gegen diese Leugnung des politischen Charakters der revolutionären Kämpfe seit 1968 war es notwendig den Begriff 'politische Gefangene' durchzusetzen.

Der Begriff des politischen Gefangenen ist problematisch. Er ist Definitionssache und abhängig von Interessen und Zielen. Für die einen schließt er Gefangene, die aus sozialer Not stehlen aus; für die anderen schließt er gefangene Nazis und Kriegsverbrecher ein, während wieder andere die im Kampf eingesetzten Mittel zum Kriterium nehmen.

Wir verstehen uns mit dieser Initiative als Teil einer weltweiten Befreiungsbewegung. Die in ihren Kämpfen, Mobilisierungen und Aktionen gefangen genommenen Genossinnen und Genossen, die von den Machthabern in allen Ländern drangsalierten Menschen definieren unseren Begriff des politischen Gefangenen selbst: Es sind die Gefangenen aus den Widerstands-, Befreiungs- und Basisprozessen in aller Welt, es sind die Gefangenen aus den Klassenkämpfen für die Abschaffung der Klassengesellschaft. Und natürlich kann eine internationale Kampagne für die Freiheit der Gefangenen nur greifen, wenn sie auch das Ziel hat, das Unterdrückungs- und Knastsystem insgesamt zu brechen.

Die Basis internationalistischer Solidarität ist der eigene Kampf. Ohne ihn wird alles zur Proklamation. Wir kennen das Argument, daß erst die eigene Sache auf die Beine gestellt werden muß, bevor man in die Welt geht. Da ist was dran. Und natürlich dann, wenn es schlecht steht um unseren Kampf. Wir wissen das auch: Die Probleme überwiegen. Die Linke ist schwach und unsere Gefangenen sind noch nicht einmal zusammengelegt. Und natürlich stellt sich die Frage, ob nicht versucht wird der eigenen Realität auszuweichen, anstatt das Nächstliegende im eigenen Land zu tun. Aber was ist das Nächstliegende?

Unser Freiheitskampf richtet sich gegen die herrschenden Verhältnisse. Und die sind international, wenn auch in den verschiedenen Ländern und Kontinenten unterschiedlich ausgeprägt. Gemeinsam gegen diese Zustände zu kämpfen ist kein Umweg oder Ersatz für den Kampf im eigenen Land. Das gilt auch in Bezug auf die Gefangenen. Mehr denn je erpreßt in diesem Land der Staat die gesamte radikale Linke mit den Gefangenen. Auf die Jahrzehnte der Isolation aufbauend ist die Maxime: Anpassung an die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, Akzeptanz des Staates und Individualisierung - oder Knast auf ewig. Das stellt alle vor schwerwiegende Entscheidungen, drinnen wie draußen.

Und gerade weil es eine Veränderung der Situation der Gefangenen nur um den Preis völliger politischer Selbstaufgabe zu geben scheint, müssen wir die nationale Enge durchbrechen und neue Kraft schöpfen. Für uns ist das kein Widerspruch. Das Eine bedingt für uns das Andere. Und weil es so ist, braucht es den Zusammenschluß aller, die diese weltweite kapitalistische Zwangsgesellschaft zum Teufel jagen wollen.

Libertad!, die Initiative für eine weltweiten Kampftag kann, wenn sie zu einer Bewegung wird, auch neue Kräfte und frischen Wind im Kampf um das Leben und die Freiheit der politischen Gefangenen in Deutschland freisetzen. Aber dieser Freiheitskampf hat keine Maßeinheit in Wochen oder Monaten.

Gründung des Initiativkreises und die ersten Schritte

Seit dem Gegenkongreß in München ist ein Jahr vergangen. Wir haben diese Zeit gebraucht, um uns zueinander sicher zu werden und sicher zu gehen, daß der Initiativkreis !Libertad! den ersten Aufruf überlebt.

Wir gehen jetzt an die Öffentlichkeit, um diese Idee des Internationalen Tages vorzustellen und zu verbreiten. Die Initiative ist offen. Wir werden mit interessierten Gruppen gerne Informationsgespräche führen und Infoabende veranstalten, um die konkreten Überlegungen zur Weiterentwicklung und gemeinsamen Arbeit zu vermitteln. Längerfristig soll eine Struktur lokaler Komitees und bundesweiter Arbeitsgruppen von Libertad! entstehen. Für die erste Hälfte des nächsten Jahres planen wir eine öffentliche Arbeitskonferenz, um gemeinsam die weiteren Vorhaben zu besprechen und anzugehen.

Unser Ziel ist es, daß viele Menschen, Gruppen und Organisationen die Kampagne zu ihrer Sache machen - daß dieser Internationale Kampftag für die Freiheit mithilft das gesellschaftliche Klima zu verändern.

Wir wollen gemeinsam die Initiative ergreifen: gegen die Vernichtung unserer Geschichte, gegen die Vernichtung der Gefangenen, gegen die Zerstörung der Perspektive gesellschaftlicher Befreiung.

Für die Würde der Menschen, für die Freiheit, für die Einheit der Kämpfe!

Diesen Aufruf gibts es auch auf englisch - italienisch - spanisch - französisch - portugisisch englisch

Druckversion: lib1993de.pdf (24.12 KB)


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