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Sonntag, 24.11.2024

Die Situationen richtig nutzen

Im Februar veröffentlichten wir "unser" Plakat zum und gegen den NATO-Gipfel in Strasbourg. "OBAMA kommt - wir auch!". Mit Obama machten wir Werbung gegen imperialistische Kriegspolitik. Das kam gut an, so berichtete auch
die "taz" mit Libertad!-Plakat über den attac Kapitalismus-Kongress. Die Plakate gingen weg wie nix.

Einfach nur eine weitere Auflage wollten wir nicht. Also haben wir das Plakat (leicht im Format verändert und als Quad gefalzt) dem neuen "ak" (Nr. 537 vom 20.3.2009) beigelegt - und noch einige Anmerkungen zur Krise, Obama und ein paar Aufgaben der Linken auf die Rückseite gedruckt:
Zahlreiche linke Gruppen und die europäische Antikriegsbewegung werden gegen den NATO-Gipfel vom 1.-5. April ein Zeichen setzen. Natürlich wird auch die Initiative Libertad!, die sich nicht nur für die Freiheit von politischen Gefangenen und gegen staatliche Repression einsetzt, daran teilnehmen. Zusammen mit unseren Genoss/innen aus der Interventionistischen Linken (iL) werden wir in Strasbourg blockieren und demonstrieren.
Jetzt aber leistet Libertad! noch einen Beitrag zur verkürzten Kriegskritik: Wir mobilisieren mit einem Plakat des aktuellen US-Präsidenten. ...

Die Situationen richtig nutzen
Die Krise, Obama und ein paar Aufgaben der Linken

(März 2009) Zahlreiche linke Gruppen und die europäische Antikriegsbewegung werden gegen den NATO-Gipfel vom 1.-5. April ein Zeichen setzen. Natürlich wird auch die Initiative Libertad!, die sich nicht nur für die Freiheit von politischen Gefangenen und gegen staatliche Repression einsetzt, daran teilnehmen. Zusammen mit unseren Genoss/innen aus der Interventionistischen Linken (iL) werden wir in Strasbourg blockieren und demonstrieren.

Jetzt aber leistet Libertad! noch einen Beitrag zur verkürzten Kriegskritik: Wir mobilisieren mit einem Plakat des aktuellen US-Präsidenten. Für Libertad! ein absolutes Novum. Aus guten Gründen haben wir uns nie an der linken Propaganda beteiligt, die Chefs der USA mit Teufelshörnern oder gezogenen Revolvern abzubildern. Das war uns immer zu abgeschmackt und unpolitisch. Aber bei Obama werden wir jetzt auch mal persönlich. „Obama kommt - Wir auch!“ ruft Libertad! den Betrachtern zu. Obama trägt auf der Raubkopie des „Hope-Plakat“ des Street-Art-Künstlers Shepard Fairy, dass nach dem Wahlsieg um den Globus ging, eine Anstecknadel mit dem Libertad!-Logo. Immerhin hat der Stargast des NATO-Gipfels die Schließung des US-amerikanischen Militärgefängnisses Guantanamo angekündigt, gegen dessen Existenz auch Libertad! mit einer Ausstellung gegen Lager und Folter und auch in den Aktionstagen von Heiligendamm 2007 protestierte. Wir mobilisieren mit Obama, weil wir gegen ihn und Merkel, Sarkozy, Berlusconi, Brown und den Rest demonstrieren werden. Natürlich will die europäische Bande niemand sehen. Hoffnung mit Merkel, Sarkozy und Berlusconi? Da bekommt man nur Alpträume des schlechten Geschmacks. Obama dagegen steht im Widerspruch zum zuletzt inflationären Feindbild des kulturlosen Ami, und das ist eine Wohltat nach all den Bush-Plakaten mit aufgemalten Hitlerbärtchen. Was drückt es aus, wenn weiße Linke jetzt das Fadenkreuz auf den Kopf des US-Präsidenten zeichnen?

Bereits im Juli 2008 haben wir in einem Flugblatt (Kein Friede mit der Nato) erläutert, warum der Welterfolg des Kapitalismus nicht allein auf der Magie des freien Wettbewerbs beruht, sondern dass seine Marktdominanz immer wieder durch militärische Interventionen aller Art abgesichert wird.Wir sagten auch, dass die Europäische Union nun wirklich keine friedliche Alternative gegenüber den USA ist. Und dass es an der Zeit ist, den populären Antiamerikanismus vieler linkssozialdemokratischer, friedensbewegter und alt-antiimperialistischer Linker zu entsorgen. Bei aller Abscheu vor dem US-amerikanischen Antikommunismus und seinen Verbrechen, die spätestens seit 1945 wirklich lange Listen füllt, sollte niemand behaupten, dass die Expansion des guten, alten Europas menschenfreundlicher wäre. Dafür muss man noch nicht mal gleich die Nazis, den Vernichtungskrieg und den Holocaust aufrufen. Im Zeitraum von nur 20 Jahren im ausgehenden 19. Jahrhundert hinterließ das belgische Königshaus dem Kongo einen Kolonialgenozid mit 10 Millionen Toten.Die damaligen „Kongo-Gräuel“ sind heute fast vergessen und auch die monströse Gegenwart dieses Landes wird allenfalls am Rande wahrgenommen. Innerhalb der letzten zehn Jahre starben im Kongo vier Millionen Menschen infolge von Bürgerkriegen und Kämpfen um Rohstoffe und Einflusszonen. Allein in den letzten sechs Monaten wurden täglich 2.000 Menschen entlang der großen Seen in Zentralafrika getötet. Auch Frankreichs Afrikapolitik wurde nicht erst mit Sarkozy ruchlos. Die französische Beihilfe für das ruandische Hutu-Regime während des Genozids in Ruanda (geschätze 1.000.000 Tote in nur 100 Tagen, 75 Prozent der Tutsi-Minderheit des Landes) verantworteten die Sozialisten. Westafrika blieb seit der Entkolonialisierung immer der französische Hinterhof, die Banlieue, die billige Arbeitskräfte an die Fließbänder exportierte und in der die Fremdenlegion die Interessen der Republik durchsetzte. Die Rolle der Bundesrepublik im Kosovo und in Afghanistan ist in der Linken bekannt. Wir werden an dieser Stelle auf das beginnende deutsche Supergedenkjahr 2009 (Schiller, Weimarer Verfassung, Angriff auf Polen, Grundgesetz, NATO-Doppelbeschluss, Mauerfall, Angriff auf Jugoslawien) nicht weiter eingehen.>

Mit Obama im Weißen Haus eröffnet sich für die US-amerikanische Gesellschaft zumindest die Möglichkeit, die Schatten der schmutzigen Sklaverei zu vertreiben. Sein Sieg löscht Amerikas schreckliche, vom Rassismus geprägte Geschichte nicht aus. Weder wird es Wiedergutmachung für die Gelynchten und Erniedrigten der Vergangenheit geben, noch sind Diskriminierung und Rassismus aufgehoben. Aber keine Position in der amerikanischen Gesellschaft, wie hoch sie auch sein mag, kann künftig als historisch unmöglich für einen Amerikaner gleich welcher Ethnie gelten. In unserem Land wäre ein Bundeskanzler mit dem Namen Barak Hussein Obama, gleich welcher Herkunft, völlig undenkbar. Allenfalls eine Karriere als grüner Frühstücksvorsitzender wäre möglich.

Kein Linker wird ernsthaft von einer Regierung Obama einen radikalen Wandel erwarten. Natürlich wissen wir, dass es in den USA nur eine Partei gibt, die Partei des Kapitalismus. Dafür sind wir lang genug Marxistinnen und Marxisten mit dem richtigen Schuss Antiimperialismus. Die Moral des Handels ist allein der „unbegrenzte Eigentumserwerb“, wie John Locke bereits 200 Jahre vor Marx bemerkte. Und der Kapitalismus ist mit Obama völlig im Reinen. Das beweist auch ein kurzer Blick auf die neue Führungsklasse in Washington. Ein wichtiger Kopf im Wirtschaftteam von Obama ist Jason Furman, der ehemalige Firmenanwalt von Wal-Mart, der größten US-Billigsupermarktkette, deren Lohndumping und Kontrollterror der Belegschaft legendär ist. Ein weiterer Fan ist der Milliardär Kenneth Griffin, der Chef des Citadel Hedgefonds. Dieser König finanzieller Massenvernichtungswaffen war Höchstspender der Obama-Kampagne. Seine Traumrenditen schöpfte Citadel aus chinesischen Überwachungsfirmen, die in den unzähligen Weltmarktschwitzbuden im Perlfluss-Delta den Arbeitsdrill der Millionen chinesischen Wanderarbeiter/innen sicherstellen.

Auch die Außenpolitik verspricht einen harten New Deal. Der Unterschied zur abgedankten Republikaner-Clique besteht darin, dass die soviel Unilateralismus wie möglich wolten und nur soviel Multilateralismus wie nötig. Obama dreht dieses Prinzip um, wechselt aber nicht die strategische Orientierung: globale Dominanz, nur durch einen neuen kooperativen Imperialismus. Statt der schwefelhaltigen Lyrik des Kreationisten aus Texas, jetzt Kosmopolitik und wahr gewordene Inkarnation des American Dream. Dass seit 1945 diese Versprechung für die Mehrheit der Menschen des Trikonts immer auch ein Alptraum war, eine Aneinanderreihung von Putschen, Kurz- und Langkriegen (Mittelamerika, Vietnam, Irak) ist bekannt. Mag sein, dass Obama auch nur ein Bush mit menschlichem Antlitz wird. Trotzdem ist es, um nur einen Punkt zu nennen, nicht egal, ob der Iran ohne Gespräch bombardiert, oder verhandelt wird. Zumindest die real existierende Opposition in Teheran weiß um den Unterschied und seine Konsequenzen. Dass der sofortige Militärschlag gegen das Mullah-Regime die sozialen Verhältnisse wenden könnte, halluzinieren allenfalls rechte Israel-Lobbyisten und exlinke Renegaten der Antideutschen. Das Pentagon glaubt daran längst nicht mehr. Und dieser realistischere Machtpragmatismus ist gerade einfach mal besser so.

Denn schöner wird es mit Obama ja nun auch nicht. In Bagdad entsteht für mehr als 1.000 Mitarbeiter/innen die größte und sicherste US-Botschaft weltweit, 30.000 US-Truppen werden auf unbestimmte Zeit im Irak bleiben. In Afghanistan will Obama zwar mit den Taliban sprechen, aber den „Krieg gegen den Terror“ verstärken und in Baghram ein neues Ausnahmezustandslager für „feindliche Kombattanten“ bauen. Überhaupt: die Schließung des Lagers Guantanamo ist keine Abkehr vom „rentention system“, dem CIA-Folternetzwerk, ist nicht die Aufhebung der US-präsidialen Befehlsmacht, gezielte Hinrichtungen, Entführungen und Folterungen anordnen zu dürfen, ist nicht die Schließung der unzähligen Geheimgefängnisse. Israel setzt mit Strafkriegen seine Besatzung fort und die Palästinenser müssen – wie immer – weiter warten. Dabei dürfte Obama der letzte US-Präsident sein, der angesichts des israelischen Siedlungsbooms in der Westbank noch eine Zwei-Staaten-Lösung durchsetzen kann. Die neue US-Botschafterin Ivo Dalder im Brüsseler NATO-Hauptquatier fordert eine „globale Allianz“ von Alaska bis Feuerland und das ist nun wirklich keine beruhigende Perspektive. Und Anne-Marie Slaughter, die kommende US-Botschafterin bei der UNO, hält fast nichts mehr vom formal noch bestehenden UN-Gleichheitsgrundsatz: „Die Vorherrschaft der liberalen Demokratie ist erforderlich“. Was das heißt? Da das Vetoprinzip schon länger nicht mehr im Interesse des Hegemons ist, sollen die „demokratischen Staaten“ zu einem „alternativen Forum für die Bewilligung des Einsatzes von Gewalt“ werden, wenn China und Rußland im Sicherheitsrat die „freien Nationen“ mit Vetos blockieren. Zur Sache geht auch der Stabschef des Weißen Hauses, Rahm Emanuel, der sich freiwillig zur israelischen Armee zum Kriegseinsatz gegen die Palästinenser meldete. Über Frau Clinton braucht man eh keine Worte verlieren. Zyniker wie Rumsfeld und Cheney haben die Bühne zwar verlassen, aber Figuren aus der Kältekammer wie Zbigniew Brzezinski sind wieder zurück. Der Vietnamkriegsverbecher und Russland-Hasser rät zwar Israel mittlerweile zum Verhandlungsfrieden, verglich aber Putins Vorgehen im letzten Georgien-Konflikt mit Hitlers Annektierung des Sudetenlandes.

Die Weltökonomie ist am Ächzen, auch wenn rund um die Erde alle 40 Minuten eine MacDonalds-Filiale ihre Türen öffnet und täglich eine Million Liter Coca-Cola getrunken werden. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg beginnt die globale Wirtschaft zu schrumpfen. In Europa kommt der Einbruch vom Rand her. Estland und die baltischen Staaten kippen, Island ist ruiniert und in Moskau hoch verschuldet, die britische Regierung fror isländische Guthaben zuvor mit Anti-Terror-Paragraphen ein, Russland macht sich seine Nachbarn gefügig; Kirgisistan erhielt eine Geldspritze und schloss den amerikanischen Stützpunkt für Afghanistanflüge. Und sonst? Osteuropas Zukunft könnte der Kollaps sein, weil seine Exportmärkte zusammenbrechen. Libyen rettet deutsche Banken. Griechenland, Portugal, Italien und Irland verlieren den Anschluss. In Spanien wird die Arbeitslosigkeit am Ende des Jahres 18 Prozent betragen. Dem deutschen Exportweltmeister bleiben die Aufträge aus, produziert wird nur noch, was im letzten Jahr bestellt wurde. General Motors wird bei Opel massiv entlassen, das Werk in Eisenach soll verkauft, wenn nicht gar dicht gemacht werden. Der Osten hat mal wieder das Nachsehen; den Kapitalismus in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf. Zehntausende sind schon in Japan entlassen. Der Export sinkt um 30 Prozent und die Industrieproduktion um 10 Prozent. In den USA kamen im vergangenen Jahr 2,3 Millionen Häuser in die Zwangsvollstreckung – 81 Prozent mehr als im Jahr 2007. Allein in Nevada hat jeder 70. Hausbesitzer einen Räumungsbescheid bekommen. 252 US-Banken droht die Pleite. Weltweit verschwinden gegenwärtig etwa 50 Millionen Jobs. Die Rohstoffpreise in Afrika brechen ein, in Botswana schließen die Bergwerke. Nachdem der Anstieg der Lebensmittelpreise in den vergangenen Jahren bereits fast 150 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze drückte, wird die globale Rezession nach Schätzung der Weltbank weitere 60 Millionen Afrikaner ins absolute Elend stürzen. In jedem kommenden Jahr werden in der Konsequenz 400.000 Kinder zusätzlich sterben.

Wenn Industriearbeiter/innen in Deutschland der Arbeitsplatzverlust droht, gehören sie, bei aller verständlichen Angst vor sozialer Deklassierung, im Weltmaßstab gesehen nicht zu den absoluten Verlierern. In ihrer hiesigen Erscheinungsform täuscht der apokalyptisch-komische Charakter der Finanzkrise (tägliche Horrorzahlen, neoliberale Wendehälse, Unternehmertod im Gleisbett) die Mehrheit der Bevölkerung über die Irrationalität des globalen Kapitalismus hinweg: Wassermangel, Erderwärmung, AIDS, Hunger. Nichts und niemand wird sofort gerettet, alle müssen warten, nur im Ruf „Rettet die Banken!“ war die Einheit der politischen Klasse transnational und ohne Ausnahme. Mit 750 Milliarden Dollar stützt die neue Obama-Administration das Bankensystem der USA. Eine Summe, die im krassen Widerspruch zu jenen zwei Milliarden Dollar (von zugesagten 22 Milliarden) steht, die die Industrienationen bereit waren bislang als Landwirtschaftshilfe an den globalen Süden auszuzahlen.

Und was tun die Linken? Liegt in der Krise wirklich die Chance? Dieser Satz, der so stark nach kapitalistischer Klassenkampfreklame riecht, wird mittlerweile auch innerhalb der Bewegung gesagt, wenn sie auf die „kommenden Kämpfe“ hofft. Wir sind sehr unsicher, ob die argumentierende Linke wirklich ein interessantes Angebot in petto hat. Als es 1873 an den Börsen krachte, hoffte Marx, die damalige schwere Finanzkrise werde „durch die Allseitigkeit ihres Schauplatzes, wie die Intensität ihrer Wirkung, selbst den Glückspilzen des neuen heiligen, preußisch-deutschen Reiches Dialektik einpauken“. Heute, 200 Jahre später, ist das mit der Dialektik noch immer tückisch. In jeder Polit-Talkshow wird der grenzenlose Freihandel gegeißelt, aber die gleichzeitige Re-Nationalisierung der Gefühlslage und der Politik, wie sie die staatsoffizielle Globalisierungskritik in Berlin gerade betreibt, wird weder von attac noch von der Linkspartei wirklich angegriffen. Stattdessen werden bescheidenste Projekte rausgeholt: Ein bisschen Verstaatlichung, Tobin-Steuer, Anhebung der Mindestgehälter, Steueroasen austrocknen (parasitäre Kleinstaaten wie Liechtenstein und Andorra) ein „neues Bretton Woods“, Windparks. Und der New Deal der Grünen? Mittelklasseständisch, weiß als politische Kategorie und schrecklich protestantisch: „Bienen statt Heuschrecken“.

Libertad! misstraut dem buchhalterischen Kleinklein um das richtige Maß eines Grundeinkommens, was nur bedingungslos zu begrüßen wäre, und der Forderung nach Transparenz des Bankenrettungsfonds oder der Re-Regulierung des Finanzsystems. Wir können nicht daran glauben, dass die sprichwörtlichen „Massen“ bei der organisierten Linken vorbeikommen, um sich ihre korrekte Forderung für den Klassenkampf noch in Machbarkeitsstudien vernünftig rechnen zu lassen. Für die Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter der Autofabriken wird dabei eh nur Hartz IV oder Vorruhestand rauskommen. Vielleicht verschleiert der Blick auf das, was kommen könnte, auch die Wahrnehmung der realen Möglichkeiten. Denn die gegenwärtige Finanzkrise könnte dazu führen, dass mehr Menschen als je zuvor begreifen, dass der Kapitalismus ein Weltsystem ist, in dessen Betriebsweise Armut, Unterernährung, Kriege und Gewaltverhältnisse strukturell eingeschrieben sind. Aber alles wird davon abhängen, wie die aktuelle Phase politisch symbolisiert wird und welche Deutung sich durchsetzen wird. Denn es geht der herrschenden Klasse und ihrer Ideologie in der jetzigen Phase vor allem darum die Sicht durchzusetzen, dass die Schuld an der Finanzkrise nicht in der Irrationalität des globalen Kapitalismus als solchem liegt, sondern allenfalls in seinen zweitrangigen Auswirkungen (faule Kredite, Derivathandel etc.). Genau diesem ideologischen Kampf um die Deutungshoheit sollte sich die radikale Linke mit Kraft und Entschlossenheit stellen. Das ist kein Einspruch gegen realistische Forderungen und greifbare Erfolge, aber die Selbstbeschneidung auf das jetzt nur scheinbar Mögliche gibt die zukünftigen Kämpfe schon jetzt verloren. Denn diese werden die organisierten Linken nicht selbst erzeugen können. „Revolutionäre Politik ist die Organisation der gesellschaftlichen Erfahrung“ (Jonas A. Zalkind). Und wir ergänzen: Organisation ist Angriff, Spontaneität und Autonomie.

Die Linke sollte versuchen aktiv einzugreifen. Es geht um Handlungen, die bewusst auf Konfrontation und Reibung aus sind, also sich aus der Allianz der „Retter unseres Wirtschaftssystems“ befreien. Unser Beitrag zur Vergesellschaftung muss sein, die subjektive Seite des Widerspruchs zu organisieren, an einer Bewegung zu arbeiten, die allgemeine und sehr konkret für die arbeitenden und ausgegrenzten Menschen wirkende Ziele einfordert, die autonom und quer gegenüber allem Nationalem und staatlicher Grenzen eine andere Gesellschaftlichkeit erprobt. Denn auch umgekehrt gilt, in dem Maße, wie es diese Bewegungen nicht gibt, wird der kapitalistische Angriff, wird die Abwälzung der Kosten der Krise usw. zu einer weiteren sozialen Zersplitterung und Zerstörung führen. Alle sozialen Verhältnisse sind auch Produktionsverhältnisse.„Die Verantwortung der Linken“ liegt hier genauso. Die Gefahr besteht, dass die vorherrschende Erzählung über die Krise des Finanzmarktkapitalismus die Menschen nicht aufweckt, sondern sie in die Lage versetzt, weiter zu träumen.

An diesem Punkt sollten radikale Linke anfangen sich wirklich Sorgen zu machen – nicht allein über die sozialen und ökonomischen Folgen der Krise, sondern über die offenkundige Versuchung, den „Krieg gegen den Terror“, die Interventionspolitik der USA und die europäischen Militärexpansionen weiter zu verstärken, um die Wirtschaft in Gang zu halten. Auch, dass die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen ist, die hiesigen Lasten immer wieder und weiter auf die Ausgestoßenen der anderen Kontinente abzuwälzen. Die Anfälligkeit, der Piratenjagd im Süden, der Abschottung gegen „die Fremden“, den autoritären Lösungen im Inneren, was Gutes abzugewinnen und mitzumachen, ist evident immanent. Nur die aktive Gegenhandlung schafft eine eindeutige Positionierung, die emanzipatorische Politik definiert.

Seien wir realistisch, verlangen wir das Unmögliche!“ war eine der schönsten Parolen der neuen Linken nach 1969. Heute, 40 Jahre später, und nach den ersten sechs Monaten der Finanzmarktkrise liegt die wahre Utopie in dem Glauben, dass der real existierende globale Kapitalismus sich unendlich weiter reproduzieren kann; der einzige Weg, heute realistisch zu sein, ist das ins Auge zu fassen, was in den Koordinaten dieses Systems schlichtweg unmöglich scheinen muss. Die Wahl Obamas war kein Systemsturz, aber sie markiert eine ereignishafte Situation, die beweist, dass eine Unterbrechung des Erwartbaren möglich sein kann.

Zeigen wir Obama bei seinem Besuch in Baden-Baden und Strasbourg, dass wir von der schwarzen US-Bürgerrechtsbewegung und ihren militanten Protestformen, vom Sit-In bis zum organisierten Selbstschutz, gelernt haben. Machen wir deutlich, was wir davon halten, dass die NATO in aller Welt „Demokratie“ herbeibombt – und den eigenen Laden mit protest- und demonstrationsfreien Zonen eines temporär-permanenten Ausnahmezustands ausstattet. All das ist der Zusammenhang von Krieg und Krise, von nichtendender Freiheit im Krieg, vom Terror der Verhältnisse im Kapitalismus.
Aber: nichts bleibt, wie es ist. Adelante!
(Red. SoOderSo/Libertad!)

Kontakt: Libertad!/Red. SoOderSo, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin - kampagne (at) libertad.de - -
Spendenkonto: Libertad!, No.: 8020068500, BLZ: 43060967, GLS-Bank, Zweck: No-to-Nato, V.i.S.d.P.: Hans-Peter Kartenberg


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