Solidarität ist unsere Waffe!

Freitag, 29.03.2024

Dokument: Flugblätter der Kommune I zum Brüsseler Kaufhausbrand

Vor 44 Jahren, Anfang Mai 1967, zog die Kommune I innerhalb von Westberlin um, an den Stuttgarter Platz in Charlottenburg. Bis zum Schah-Besuch in Berlin am 2. Juni schrieben sie 15 ihrer durchnummerierten Flugblätter, darunter die, die den Kaufhausbrand in der Brüsseler Innenstadt zum Thema hatten.

Am 23. Mai 1967 erschien Bild, Ausgabe Berlin, mit der riesigen, von Fotos gesäumten Schlagzeile: "Katastrophe im Kaufhaus. 23 starben in der FEUERFALLE: Brandkatastrophe in der Innenstadt von Brüssel." Im Text hieß es: "In den Mittagsstunden sank ein fünfgeschossiges Kaufhaus in Schutt und Asche. Mehrere anliegende Häuser stehen in Flammen. Bisher wurden 23 Tote geborgen. Über hundert Menschen liegen mit schweren Brandverletzungen in den Krankenhäusern. Viele werden noch vermisst. Unter den Todesopfern befindet sich eine Mutter, die sich in panischer Angst mit ihren drei kleinen Kindern aus dem dritten Stock des brennenden Kaufhauses L'Innovation stürzte. Weiter letzte Seite."

Auf der letzten Seite dann groß: "Hilfe! Hilfe! Ich verbrenne … Wie eine lebende Fackel liegt ein Mann auf einem Fenstersims des Kaufhauses … Ihm bleibt nur der Sprung nach vorn, der Sprung durchs Fenster in die Tiefe … Als die Wände eines benachbarten Pelzgeschäftes durch die Hitze zu bersten drohten, stürmten Feuerwehrleute in das Gebäude und warfen den auf den Straßen stehenden Menschen große Mengen kostbarer Pelze zu. Der Augenzeuge Raoul Duez aus Gent (Belgien): Als die Flammen aus dem vierten Stockwerk schlugen, sah ich, wie eine Frau auf den Balkon kletterte ... Dann ließ sie sich geschwächt aus 30 Meter Höhe in die Tiefe fallen."

Und dann kam das Knallbonbon, buchstäblich: "Verkäuferinnen sagten aus: ,Als es gegen Mittag knallte, machten wir uns nicht viel daraus. Das waren wir seit mehreren Tagen gewöhnt.' In dem Warenhaus L'Innovation wurde für amerikanische Produkte geworben. Kommunisten hatten daraufhin aus Protest gegen den Vietnamkrieg in den letzten Tagen Feuerwerkskörper und Kanonenschläge in dem Kaufhaus hochgehen lassen. Der Direktor des Kaufhauses, Willy Bernheim: ,Vermutlich haben Extremisten den Brand gelegt.' Gerüchteweise verlautete, dass am letzten Sonnabend ein Unbekannter gedroht hatte, im Kaufhaus eine Bombe explodieren zu lassen."

Nachfolgend sind die betreffenden sechs Flugblätter dokumentiert.

-

Flugblatt Nr. 6

Neue Demonstrationsformen in Brüssel erstmals erprobt

In einem Großhappening stellten Vietnamdemonstranten für einen halben Tag kriegsähnliche Zustände in der Brüsseler Innenstadt her.

Diese seit Jahren größte Brandkatastrophe Belgiens hatte ein Vorspiel. Zur Zeit des Brandes fand in dem großen Kaufhaus A l'innovation (Zur Erneuerung) gerade eine Ausstellung amerikanischer Waren statt, die deren Absatz heben sollte. Dies nahmen eine Gruppe Antivietnamdemonstranten zum Anlass, ihren Protesten gegen die amerikanische Vietnampolitik Nachdruck zu verleihen.

Ich sprach mit dem Mitglied der prochinesischen Gruppe ,Aktion für Frieden und Völkerfreundschaft' Maurice L. (21): "Wir vermochten uns bisher mit unseren Protesten gegen die amerikanische Vietnampolitik nicht durchzusetzen, da die hiesige Presse durch ihre Berichterstattung systematisch den Menschen hier den Eindruck vermittelt, dass ein Krieg dort unten notwendig und zudem gar nicht so schlimm sei. Wir kamen daher auf diese Form eines Happenings, die die Schwierigkeiten, sich die Zustände beispielsweise in Hanoi während eines amerikanischen Bombenangriffs vorzustellen, beheben sollte."

Der Verlauf des Happenings spricht für eine sorgfältige Planung: Tags zuvor fanden kleinere Demonstrationen alten Musters vor dem Kaufhaus mit Plakaten und Sprechchören statt und in dem Kaufhaus wurden Knallkörper zwischen den Verkaufsständen gezündet. Das Personal wurde an derartige Geräusche und Zwischenfälle gewöhnt. Die Bedeutung dieser Vorbereitungen zeigte sich dann bei Ausbruch des Feuers, als das Personal zunächst weder auf die Explosionen noch auf Schreie und Alarmklingeln reagierte. Maurice L. zu dem Brand: "Sie werden verstehen, dass ich keine weiteren Angaben über die Auslösung des Brandes machen möchte, weil sie auf unsere Spur führen könnten."

Das Feuer griff sehr schnell auf die übrigen Stockwerke über und verbreitete sich dann noch in den anliegenden Kaufhäusern und Geschäften, da die umgebenden Straßen für die anrückende Feuerwehr zu eng waren. Der Effekt, den die Gruppe erreichen wollte, dürfte wohl ihren Erwartungen voll entsprochen haben. Es dürften im Ganzen etwa 4000 Käufer und Angestellte in die Katastrophe verwickelt sein. Das Kaufhaus glich einem Flammen- und Rauchmeer; unter den Menschen brach eine Panik aus, bei der viele zertrampelt wurden; einige fielen wie brennende Fackeln aus den Fenstern; andere sprangen kopflos auf die Straße und schlugen zerschmettert auf; Augenzeugen berichteten: "Es war ein Bild der Apokalypse"; viele erstickend schreiend. Das Riesenaufgebot an Feuerwehr und Polizei war wegen der Neugierigen und der ungünstigen Raumverhältnisse außerordentlich behindert - ihre Fahrzeuge waren mehrmals in Gefahr, in Brand zu geraten.

Maurice L.: "In der vorigen Woche hatten wir eine anonyme Bombendrohung an das Kaufhaus durchgegeben, um festzustellen, welche Maßnahmen die Polizei und welche Sicherungsmaßnahmen das Kaufhaus ergreifen." - Da zu erwarten war, daß die Betroffenen die Ursachen des Brandes mißdeuten würden, hatte die Gruppe nach Maurice L. schon Tage zuvor und vor allem am Tag des Großhappenings Flugblätter verteilt, die auf die Zustände in Vietnam hinwiesen und empfahlen, die Ausstellung im Kaufhaus A l'innovation "hochgehen" zu lassen. Nach sieben Stunden erst war das Großfeuer unter Kontrolle - der Schaden beträgt nach vorsichtigen Schätzungen ca. 180 Mill. DM.

Über die Ursachen des Brandes wurden von der Polizei bisher noch keine genauen Angaben gemacht. Obwohl alle Anzeichen für dieses Großhappening sprechen, wie es Maurice K. schilderte, wagen Polizei und Öffentlichkeit bisher nicht, die Antivietnamdemonstranten offen zu beschuldigen, da dies einem Eingeständnis einer erfolgten weitgehenden Radikalisierung der Vietnamgegner gleichkäme. Es könnte zudem bewirken, daß andere Gruppen in anderen Städten wegen der Durchschlagkraft dieses Großhappenings nicht nur in Belgien zu ähnlichen Aktionen ermuntert würden. Und selbst wenn sich durch eine Unvorsichtigkeit der Demonstranten die Urheberschaft dieser oben genannten Gruppe eindeutig herausstellen würde, dürfte dies nicht dazu führen, daß die Polizei das Ergebnis veröffentlicht, da der obige Effekt der Ermunterung anderer Gruppen eine solche Veröffentlichung inopportun erscheinen läßt.

Kommune I (24.5.67)

-

Flugblatt Nr. 7

NEU ! UNKONVENTIONELL ! NEU! UNKONVENTIONELL! NEU UNKONVENTIONELL!

Warum brennst du, Konsument?

NEU ! ATEMBERAUBEND ! NEU! ATEMBERAUBEND! NEU! ATEMBERAUBEND!

Die Leistungsfähigkeit der amerikanischen Industrie wird bekanntlich nur noch vom Einfallsreichtum der amerikanischen Werbung übertroffen: Coca Cola und Hiroshima, das deutsche Wirtschaftswunder und der vietnamesische Krieg, die Freie Universität und die Universität von Teheran sind die faszinierenden und erregenden Leistungen und weltweit bekannten Gütezeichen amerikanischen Tatendranges und amerikanischen Erfindergeists; weben diesseits und jenseits von Mauer, Stacheldraht und Vorhang für freedom und democracy.

Mit einem neuen gag in der vielseitigen Geschichte amerikanischer Werbemethoden wurde jetzt in Brüssel eine amerikanische Woche eröffnet: ein ungewöhnliches Schauspiel bot sich am Montag den Einwohnern der belgischen Metropole:

Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum erstenmal in einer europäischen Grossstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen.

Skeptiker mögen davor warnen, 'König Kunde', den Konsumenten, den in unserer Gesellschaft so eindeutig Bevorzugten und Umworbenen, einfach zu verbrennen.

Schwarzseher mögen schon unsere so überaus komplizierte und kompliziert zu lenkende hochentwickelte Wirtschaft in Gefahr sehen.

So sehr wir den Schmerz der Hinterbliebenen in Brüssel mitempfinden: wir, die wir dem Neuen aufgeschlossen sind, können, solange das rechte Mass nicht überschritten wird, dem Kühnen und Unkonventionellen, das, bei aller menschlichen Tragik im Brüsseler Kaufhausbrand steckt, unsere Bewunderung nicht versagen.

Auch der Umstand, dass man dieses Feuerwerk Anti-Vietnam-Demonstranten andichten will, vermag uns nicht irrezuführen. Wir kennen diese weltfremden, jungen Leute, die immer die (Plakate) von gestern tragen, und wir wissen, dass sie trotz aller abstrakten Bücherweisheit und romantischer Träumereien noch immer an unserer dynamisch-amerikanischen Wirklichkeit vorbeigegangen sind.

Kommune I (24.5.1967)

-

Flugblatt Nr. 8

Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?

Bisher krepierten die Amis in Vietnam für Berlin. Uns gefiel es nicht, dass diese armen Schweine ihr Cocacolablut im vietnamesischen Dschungel verspritzen mussten. Deshalb trottelten wir anfangs mit Schildern durch leere Straßen, warfen ab und zu Eier ans Amerikahaus und zuletzt hätten wir gern HHH in Pudding sterben sehen. Den Schah pissen wir vielleicht an, wenn wir das Hilton stürmen, erfährt er auch einmal, wie wohltuend eine Kastration ist, falls überhaupt noch was dranhängt...es gibt da so böse Gerüchte.

Ob leere Fassaden beworfen, Repräsentanten lächerlich gemacht wurden - die Bevölkerung konnte immer nur Stellung nehmen durch die spannenden Presseberichte. Unsere belgischen Freunde haben es endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, dreihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben und Brüssel wird Hanoi. Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk bei der Frühstückszeitung zu vergiessen. Ab heute geht sie in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette in der Ankleidekabine an. Dabei ist nicht unbedingt erforderlich, dass das betreffende Kaufhaus eine Werbekampagne für amerikanische Produkte gestartet hat, denn wer glaubt noch an das `made in Germany´?

Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. Genausowenig wie beim überschreiten der Demarkationslinie durch die Amis, der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi, dem Einmarsch der Marines nach China.

Brüssel hat uns die einzige Antwort darauf gegeben:

burn ware-house, burn!

Kommune I (24.5.67)

-

Flugblatt Nr. 9

Revolution in rosé - Revolution in rot

Durch flammendes Rot fliegen Pelze auf die Straße - für jede Hausfrau Brüssels einen Nerz - L'innovation rosarote Invasion - das völlig neue revolutionierende Gefühl - eine Flasche Propan-Gas und sie können dasselbe erleben - die höchstentwickelte Propaganda für Johnsons Vietnam-Politik - amerikanisches Kulturgut von rosé-grauen Wolken umschmeichelt - die Apokalypse von Brüssel können sie selbst erleben- durch Revolution in rosé - Propangas in rot - bei Kepa und Ka-De-Weh.

Kommune I

-

Flugblatt Nr. 10 dokumentierte zwei BZ-Artikel vom 26. und vom 27. Mai 1967. Letzterer endete: "Die Polizei hält es für durchaus wahrscheinlich, daß die 'Kommune I' direkte Verbindungen nach Brüssel hat. Denn zu dem Zeitpunkt , an dem die Flugblätter verteilt wurden, waren bestimmte geschilderte Einzelheiten in der Öffentlichkeit noch nicht bekannt."

-

Flugblatt Nr. 11

Berliner, laßt Euch nicht hinters Licht führen!

Was in Brüssel noch nicht genau auszumachen war, - bei uns in Berlin wird es ganz deutlich: Die Radikalinskis haben dazugelernt:

Schon dort, in Brüssel, ließ sich der Verdacht nicht abweisen, daß dem Kaufhausbrand eine minutiöse Planung vorherging. Die Polizei verschwieg der Bevölkerung in Belgien diese Tatsachen, um sie nicht zu beunruhigen. Hier aber in Berlin könnte ein solches Schweigen verhängnisvoll werden!

Nicht umsonst vermutet die Polizei bereits eine Verbindung der Berliner Linken zu den Happenisten in Brüssel (s. BZ vom 27. Mai 1967).

Hier die Tatsachen:

Seit Wochen werden, wie uns zuverlässig berichtet wurde, in kleinen Zirkeln unter strengster Geheimhaltung Aktionen und vermutlich auch Attentate auf den Schah geplant. Sie sollen sich auf das Hilton, wo der Schah residieren wird, auf die Deutsche Oper, die er besuchen wird, und seine Besichtigungsfahrten konzentrieren.

Nach außen hin aber entfalten die Maoisten eine fieberhafte Aktivität um ihr Standardthema Vietnam. So hat der SDS mit dem ASTA der FU zusammen eine vollbesetzte Diskussion mit drei Mitgliedern des eigenartigen "Russell-Tribunals", die der "Politische Club", eine Organisation sogenannter "Radikaldemokraten" zu diesem Zweck einlud, über die angeblichen Kriegsverbrechen der USA in Vietnam in der FU durchgeführt - wie üblich ohne die unmenschlichen Fallen der Vietkong zu erwähnen.

Wer sich daran erinnert, wie noch vor einiger Zeit Eier gegen das Amerikahaus und Polizisten flogen, war baß erstaunt - hier wurden als Aktionen eines neu gegründeten Aktionskomitees aller linksorientierten Verbände nur noch Aufklärungsdemonstrationen und Geldsammlungen im amerikanischen Wohnviertel in Dahlem geplant. Diese Demonstration wurde dann angeblich wegen des schlechten Wetters abgesagt.

Und damit nicht genug: Die Falken - die Jugendorganisation der SPD wird angeblich am 3. Juni, also unmittelbar nach der Abreise des Schah eine Vietnamdemonstration in Wedding durchführen, weil, wie es in einem Aufruf heißt "es unter Arbeitern ein beträchtliches Unbehagen an der amerikanischen Politik gibt."

Wem hier nicht klar geworden ist, was gespielt wird ... Berlin soll glauben, daß die Radikalinskis zu sehr mit sich selber beschäftigt sind, um der Berliner Bevölkerung den Empfang des persischen Kaiserpaares zu vermiesen!

Unter dem Deckmantel eines vollkommen aus der Luft gegriffenen Aktivismus in Sachen Vietnam werden unterdes die Vorbereitungen gegen den Schah vorangetrieben.

Berliner, wir müssen die Polizei auffordern, hier schnellstens reinen Tisch zu schaffen!

Zu oft ist es den ewigen Querulanten gelungen, eine Atmosphäre der Hysterie in unserer Stadt zu verbreiten!

Berliner, zeigt dem Schah, daß ihr ihm, seiner Gemahlin und seinem Land einen herzlichen Empfang bereiten könnt!

Kommune I, 30.5.1967

Verantwortl: U. Enzensberger

-

Siehe auch das sehr empfehlenswerte Buch von Ulrich Enzensberger "Die Jahre der Kommune I, Berlin 1967-1969". Auf der folgenden Webseite ist ein Ausschnitt davon veröffentlicht, der auch in diesen Blogeintrag eingeflossen ist: http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2004/09/25/a0315


[ HOCH ] -

Wer ist online

Zur Zeit sind 0 Benutzer und 0 Gäste online.

Copyleft


This work is licensed under a Creative Commons-License